KG – Az.: 3 Ws (B) 56/22 – Beschluss vom 10.03.2022
In der Bußgeldsache wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 10. März 2022 beschlossen:
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. Dezember 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe: I.
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung einen Bußgeldbescheid erlassen und eine Geldbuße sowie ein Fahrverbot festgesetzt. Der Betroffene hat hiergegen Einspruch eingelegt. Zur Hauptverhandlung ist nur der Verteidiger, nicht aber der Betroffene erschienen. Grund hierfür ist gewesen, dass der Betroffene keinen Einlass in das Gerichtsgebäude erhalten hatte, weil er weder ein Impfzertfikat noch einen Genesenen- oder Testnachweis bei sich hatte. Das Amtsgericht hat den Einspruch daraufhin mit der Begründung verworfen, der Betroffene fehle unentschuldigt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Neben der Verletzung sachlichen Rechts rügt er eine Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG ist zulässig erhoben. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, der Betroffene sei 20 bis 30 Minuten vor Terminsbeginn (10.30 Uhr) an der Pforte des Amtsgerichts gewesen, dort jedoch mangels Impfnachweises abgewiesen worden. Daraufhin sei er umgekehrt und habe das Zertifikat holen wollen. Um 10.25 Uhr, fünf Minuten vor Terminsbeginn, sei er von seinem Verteidiger angerufen worden; diesem habe er den Sachverhalt geschildert und mitgeteilt, er werde zwischen 10.45 Uhr und 10.55 Uhr erscheinen. Der Anwalt habe daraufhin dem Gericht mitgeteilt, er, der Betroffene, werde sich geringfügig verspäten. Um 10.45 Uhr habe das Amtsgericht den Einspruch verworfen.
2. Die Rüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG ist auch begründet. Das Amtsgericht hätte, nachdem es von einer 15 Minuten nicht erheblich überschreitenden Verspätung des Betroffenen wusste, dessen Einspruch nicht ohne weiteres Zuwarten verwerfen dürfen.
a) Die Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiterverfolgt wissen will, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet (vgl. BGHSt 24, 143; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 74[…]