Unfallanalyse: Halbe Vorfahrt und angepasste Fahrweise im Fokus
Das vorliegende Gerichtsurteil befasst sich mit einem Verkehrsunfall, der sich an einer unregulierten Kreuzung ereignet hat. Besondere Beachtung findet dabei das Konzept der „halben Vorfahrt“. Hierbei geht es um die Rechtsfrage, wie sich ein Fahrzeugführer verhalten muss, wenn er sich einer Kreuzung nähert, an der die Vorfahrt nicht besonders geregelt ist. Konkret geht es um einen Fahrer, der sich einer solchen Kreuzung von links nähert. Da für ihn gegenüber dem von links Kommenden die Vorfahrt gilt, gegenüber dem von rechts aber Wartepflicht besteht, wird hier von „halber Vorfahrt“ gesprochen. Im Mittelpunkt des Falls steht, ob der Fahrer seine Geschwindigkeit in ausreichendem Maße angepasst hat.
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Sichtbehinderung und Geschwindigkeitsanpassung
Der Kläger, der sich der Kreuzung näherte, argumentierte, dass ihm aufgrund von Bewuchs und einem rechts gelegenen Gebäude die Sicht auf die Fahrbahn nach rechts erst in einer Entfernung von etwa 15 Metern vor der Kreuzung möglich gewesen sei. Das Landgericht hat in seinem Urteil jedoch keine Berechnungen dazu angestellt, ob es dem Kläger möglich gewesen wäre, nach Erreichen dieses Punktes, bis zum Erreichen der Kreuzung wesentlich zu beschleunigen. Aus Sicht des Klägers hätte das Landgericht nicht ohne weitere Sachaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens entscheiden dürfen.
Sachverständigenbeweis zum Unfallhergang
Das Berufungsgericht zog zur weiteren Klärung des Unfallhergangs einen Sachverständigen hinzu. Dieser erstellte ein unfallanalytisches Gutachten, in dem er unter anderem die Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Beklagten zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes mit dem SUV des Klägers ermittelte. Anhand einer von ihm durchgeführten Simulation sowie eines Weg-Zeit-Diagramms konnte er nachweisen, dass der Beklagte mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h ungebremst mit dem klägerischen Fahrzeug kollidierte.
Interpretation des Vertrauensgrundsatzes
Im Zentrum des Urteils steht die Interpretation des Vertrauensgrundsatzes. Nach diesem Grundsatz darf ein Vorfahrtsberechtigter darauf vertrauen, dass ein für ihn nicht sichtbarer Verkehrsteilnehmer sein Vorfahrtsrecht beachten wird. In Fällen von „halber Vorfahrt“, so das Urteil, gilt das jedoch nur, wenn der Vorfahrtsberechtigte mit angepasster Geschwindigkeit fährt.
Das Urteil und seine[…]