BGH – Az.: V ZR 4/21 – Urteil vom 13.05.2022
Leitsätze:
1. Fehlt einem bebauten Grundstück die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg deshalb, weil die in der bestandskräftigen Baugenehmigung vorgesehene Zuwegung schon bei der Bebauung technisch nicht herstellbar war oder jedenfalls nicht (mehr) hergestellt werden kann, ist das Notwegrecht nicht gem. § 918 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
2. Wird durch den Notweg eine Dienstbarkeit an dem Nachbargrundstück beeinträchtigt, muss der Eigentümer des verbindungslosen Grundstücks die Duldung des Notwegs nicht nur von dem Eigentümer des Nachbargrundstücks, sondern auch von dem Dienstbarkeitsberechtigten verlangen.
3. Ob eine Zuwegung zu einem bebauten Grundstück den Anforderungen an eine zur ordnungsmäßigen Grundstücksnutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg genügt, beurteilt sich nach den aktuellen technischen und rechtlichen Voraussetzungen und nicht nach den Gegebenheiten bei Erteilung der Baugenehmigung.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Mai 2022 für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Dezember 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks in Hanglage. Das Grundstück hat keine eigene Anbindung an eine öffentliche Straße (Hinterliegergrundstück). Die dem Rechtsvorgänger des Klägers im Jahr 1956 erteilte Baugenehmigung enthält die Bestimmung, dass der Zugang und die Zufahrt über einen auf dem vorderen Grundstück herzustellenden Weg mit einer Mindestbreite von 2,50 Meter erfolgen sollen, was dinglich zu sichern sei. Eine entsprechende Grunddienstbarkeit an dem vorderen Grundstück wurde in das Grundbuch eingetragen, eine Zufahrt zu dem Grundstück des Klägers wurde jedoch nicht geschaffen. Heute verläuft auf dem vorderen Grundstück entlang des dort errichteten Wohnhauses ein Fahrweg von der öffentlichen Straße bis zu der hinter dem Haus gelegenen Stellplatzfläche. Von dort führt nur eine Treppe zu dem tiefer gelegenen Grundstück des Klägers. Die Beklagten sind seit 2011 Eigentümer der mit gewerblich genutzten Gebäuden bebauten Grundstücke, die westlich an das Grundstück des Klägers anschließen. Ihnen ste[…]