KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 662/11 – 2 Ss 366/11 – Beschluss vom 09.01.2012
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. September 2011 wird zugelassen.
2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung durch Bußgeldbescheid vom 15. April 2010 eine Geldbuße von 120.—Euro festgesetzt. Durch Urteil vom 17. November 2010 hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen als unzulässig verworfen, weil dieser der Hauptverhandlung entgegen seiner Präsenzpflicht unentschuldigt ferngeblieben war. Dieses Urteil hat der Senat durch Beschluss vom 23. Februar 2011 aufgehoben. Durch Urteil vom 30. September 2011 hat das Amtsgericht den Einspruch erneut nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene wiederum der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben war, obwohl er von seiner Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden gewesen sei. Mit seiner gegen diese Entscheidung eingelegten Rechtsbeschwerde, um deren Zulassung er ersucht, rügt der Betroffene die Verletzung seines Anspruches auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Das Rechtsmittel hat einen vorläufigen Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde ist entsprechend §§ 79 Abs. 1, 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, denn die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist zulässig angebracht und begründet. Die Verwerfung des Einspruches nach § 74 Abs. 2 OWiG ist rechtsfehlerhaft und verletzt den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
Nach § 74 Abs. 2 OWiG kann der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid bei Abwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nur verworfen werden, wenn dieser nicht genügend entschuldigt ist und von seiner Präsenzpflicht nicht entbunden war. Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Das Amtsgericht hatte den Betroffenen auf seinen Antrag hin durch Beschluss vom 9. September 2011 vom persönlichen Erscheinen entbunden. Dass dieser Beschluss erst zu Beginn der Hauptverhandlung erlassen worden ist, steht seiner Wirksamkeit nicht entgegen, nachdem der ihm zugrunde liegende Antrag bereits am Vortag bei Gericht eingegangen war. Die Freistellung des Betroffenen wirkt für die gesamte, unmittelbar bevorstehende Hauptve[…]