Die Haftungsverteilung nach qualifiziertem Rotlichtverstoß stand zur Debatte, als ein Busfahrer 24 Sekunden Rotlicht missachtete und mit einem wendenden Pkw kollidierte. Das Gericht musste abwägen, inwiefern dieser extreme Fehler die Mitschuld des Pkw-Fahrers wegen seines gefährlichen 180-Grad-Manövers aufwiegt. Zum vorliegenden Urteil Az.: 10 U 213/22 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt am Main
- Datum: 23.09.2025
- Aktenzeichen: 10 U 213/22
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Haftung, Verkehrsunfallrecht, Schadensersatz
- Das Problem: Ein Pkw kollidierte im Kreuzungsbereich mit einem Linienbus. Die Mutter des Pkw-Fahrers starb bei dem Unfall. Die Parteien stritten über die Schuld und die Höhe des Schadensersatzes.
- Die Rechtsfrage: Muss der Busfahrer fast die gesamte Haftung tragen, obwohl der Autofahrer in der Kreuzung ein unerlaubtes Wendemanöver durchführte?
- Die Antwort: Ja, die Beklagten (Bus und Versicherung) tragen die überwiegende Haftung von 80 Prozent. Der Busfahrer beging einen qualifizierten Rotlichtverstoß von über 22 Sekunden. Der Kläger (Pkw) trug eine Mitschuld von 20 Prozent wegen seines riskanten Wendemanövers und des langen Verweilens in der Kreuzung.
- Die Bedeutung: Selbst bei einem schwerwiegenden Rotlichtverstoß des Unfallgegners kann ein eigenes riskantes Fahrmanöver die Ansprüche mindern. Das Gericht muss alle Verursachungsbeiträge im Detail abwägen.
Haftung nach Rotlichtverstoß: Wer zahlt, wenn grobe Fahrlässigkeit auf ein riskantes Fahrmanöver trifft?
Ein Linienbus ignoriert eine seit über 20 Sekunden rot leuchtende Ampel. Ein Autofahrer führt im selben Moment ein gewagtes Wendemanöver mitten auf der Kreuzung durch. Es kommt zu einer katastrophalen Kollision mit tödlichen Folgen. Wer trägt die Verantwortung, wenn zwei grundverschiedene Fehler aufeinandertreffen? Mit dieser komplexen Frage der Haftungsverteilung befasste sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 23. September 2025 (Az. 10 U 213/22) und lieferte eine detaillierte Abwägung, die zeigt, dass selbst ein extremer Verkehrsverstoß nicht zwangsläufig zur alleinigen Haftung führt.
Was genau geschah an jener verhängnisvollen Kreuzung?
An einem Septembernachmittag im Jahr 2019 näherte sich ein junger Mann am Steuer eines Mercedes der E-Klasse einer großen Kreuzung. Auf dem Beifahrersitz saß seine Mutter. Er ordnete sich auf der Linksabbiegerspur ein, um seine Fahrtrichtung zu ändern. Als die Ampel für die Linksabbieger auf Grün schaltete, fuhren vier Fahrzeuge vor ihm los. Er folgte als fünftes Fahrzeug und rollte in den Kreuzungsbereich. Zur selben Zeit näherte sich aus der Gegenrichtung ein Linienbus auf der rechten Geradeausspur. Dessen Fahrer setzte seine Fahrt ungebremst fort. Mitten auf der Kreuzung kam es zur Kollision: Der Bus prallte mit Wucht in die Seite des Pkw. Die Mutter des Fahrers erlitt bei dem Aufprall tödliche Verletzungen. Die spätere Rekonstruktion des Unfallhergangs durch Gutachter und die Auswertung der Ampelschaltpläne zeichneten ein präzises, aber erschreckendes Bild. Die Ampel für den Busfahrer zeigte zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie bereits seit mindestens 22 bis 24 Sekunden Rot. Seine Geschwindigkeit betrug kurz vor dem Aufprall etwa 58 km/h. Gleichzeitig stellten die Sachverständigen fest, dass der Autofahrer nicht einfach nur links abbog….