Bevor das Gericht über die unbefugte Nutzung einer Baustraße in Sachsen-Anhalt entschied, musste es die Frage der obligatorischen Schlichtung im Nachbarrecht klären. Das Urteil zeigt nun, dass diese Schlichtungspflicht nur für einen Teil der Forderungen zwingend ist, was den komplexen Fall unerwartet spaltete. Zum vorliegenden Urteil Az.: 12 U 172/22 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
- Datum: 12.06.2023
- Aktenzeichen: 12 U 172/22
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Nachbarrecht, Eigentumsrecht, Zivilprozessrecht
- Das Problem: Zwei Nachbarn stritten über Bauarbeiten auf dem Grundstück der Klägerin. Die Klägerin forderte Geld für die Nutzung ihres Landes als Baustraße. Sie verlangte auch die Entfernung von Schutt, Steinen, einem Zaun und die Beseitigung einer Abgrabung.
- Die Rechtsfrage: Welche nachbarschaftlichen Ansprüche sind zulässig und beweisbar? Muss vor einer Klage stets eine Obligatorische Schlichtung durchgeführt werden?
- Die Antwort: Das Gericht wies die Berufungen beider Seiten zurück und bestätigte das erstinstanzliche Urteil in Teilen. Die Klägerin erhält 1.500,00 Euro Entschädigung für die Baustraßennutzung. Die Beklagten müssen die Abgrabung auf dem klägerischen Grundstück wieder auffüllen und befestigen.
- Die Bedeutung: Ansprüche auf Beseitigung von Ablagerungen scheitern oft, wenn der Verursacher nicht eindeutig nachgewiesen werden kann. Ansprüche, die direkt auf landesrechtliche Nachbarschaftsgesetze abzielen (hier: der Zaun), sind in Sachsen-Anhalt unzulässig, wenn das zwingende Schlichtungsverfahren zuvor nicht durchgeführt wurde.
Obligatorische Schlichtung im Nachbarrecht: Warum der Gang zum Richter nicht immer der erste Schritt sein darf
Ein Bauprojekt nebenan, und plötzlich wird Ihr Grundstück zur Zufahrt, zur Ablagefläche für Schutt und zur Baugrube. Ein klassischer Nachbarschaftsstreit? Nicht ganz. Denn bevor die Justiz das letzte Wort spricht, stellt das Gesetz oft eine formale Hürde auf: die obligatorische Streitschlichtung. In einem vielschichtigen Fall musste das Oberlandesgericht Naumburg in seinem Urteil vom 12. Juni 2023 (Az.: 12 U 172/22) genau diese Gemengelage entwirren. Es ging um Findlinge, Abgrabungen, eine ungenehmigte Baustraße und einen falsch platzierten Zaun – ein Lehrstück darüber, wie ein und derselbe Streit je nach Anspruch völlig unterschiedlich bewertet werden kann und warum der direkte Klageweg manchmal eine Sackgasse ist.
Ein Bauprojekt und seine Folgen: Was war genau passiert?
Die Fronten verliefen entlang einer Grundstücksgrenze in Sachsen-Anhalt. Auf der einen Seite eine Grundstückseigentümerin, auf der anderen Seite ihre Nachbarn, die eine Garagenanlage errichteten. Während der Bauphase von Juni bis Oktober 2019 eskalierte die Situation. Die Eigentümerin warf ihren Nachbarn vor, ihr Grundstück systematisch in Mitleidenschaft gezogen zu haben. Konkret brachte sie vier Hauptvorwürfe vor Gericht:
- Die unbefugte Baustraße: Ihre Nachbarn hätten ihr Grundstück über Monate hinweg als Zufahrt für schwere Baufahrzeuge genutzt. Dafür forderte sie eine Nutzungsentschädigung von 1.500 Euro.
- Die unerwünschten Ablagerungen: Auf ihrem Grundstück seien plötzlich fünf große Findlinge, ein Betonteil und weiterer Bauschutt aufgetaucht. Sie verlangte die vollständige Beseitigung dieser Gegenstände….