Weil ein Arbeitgeber den geldwerten Vorteil eines Dienstwagens falsch berechnete, sank das verfügbare Nettoeinkommen des Angestellten über Jahre unter die gesetzliche Pfändungsfreigrenze. Diese fehlerhafte Unterschreitung der Pfändungsfreigrenze durch Dienstwagen führte nun zur unerwarteten Forderung einer Nettodifferenz von fast 30.000 Euro. Zum vorliegenden Urteil Az.: 9 Sa 407/21 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
- Datum: 08.02.2022
- Aktenzeichen: 9 Sa 407/21
- Verfahren: Urteil
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Lohnabrechnung, Pfändungsschutz
- Das Problem: Ein entlassener Arbeitnehmer stritt mit seinem Ex-Arbeitgeber über ausstehenden Lohn. Er forderte Schadensersatz für den entzogenen Dienstwagen. Zudem verlangte er eine hohe Summe Nettolohn wegen jahrelang fehlerhafter Anrechnung des geldwerten Vorteils.
- Die Rechtsfrage: Darf der Arbeitgeber den geldwerten Vorteil eines Dienstwagens so verrechnen, dass das verbleibende Nettoeinkommen unter die gesetzlichen Pfändungsgrenzen sinkt? Muss die Ehefrau als unterhaltsberechtigte Person berücksichtigt werden, auch wenn sie eigenes Einkommen erzielt?
- Die Antwort: Nein. Die Anrechnung des geldwerten Vorteils war unwirksam, da sie die Pfändungsfreigrenzen verletzte. Bei der Berechnung dieser Grenzen muss die Ehefrau grundsätzlich als Unterhaltsberechtigte mitgezählt werden. Nur ein Vollstreckungsgericht kann hierüber anders entscheiden.
- Die Bedeutung: Arbeitgeber dürfen Sachbezüge wie Dienstwagen nur anrechnen, wenn die gesetzlichen Pfändungsgrenzen für den Restlohn gewahrt bleiben. Eine unkorrekte Anrechnung führt dazu, dass der Arbeitnehmer die Nettodifferenz auch rückwirkend noch fordern kann.
Darf der Dienstwagen die Pfändungsfreigrenze unterschreiten?
Ein Dienstwagen ist für viele Arbeitnehmer mehr als nur ein Transportmittel – er ist ein fester, geldwerter Bestandteil des Gehalts. Doch was passiert, wenn die Verrechnung dieses Vorteils das ausgezahlte Netto-Gehalt unter eine gesetzlich geschützte Grenze drückt? Genau diese Frage stand im Mittelpunkt eines komplexen Rechtsstreits, der vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen am 8. Februar 2022 (Az. 9 Sa 407/21) entschieden wurde. Das Urteil offenbart einen folgenschweren Fehler in der Lohnbuchhaltung, der einen Arbeitgeber zur Nachzahlung von fast 30.000 Euro netto zwang und eine klare Warnung für die Praxis darstellt. Es zeigt, dass der Schutz des unpfändbaren Einkommens auch vor dem Arbeitgeber selbst gilt.
Was war der Auslöser des Rechtsstreits?
Ein Mitarbeiter war seit 2013 in der Marketing-Abteilung eines Unternehmens beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag sah neben einem Grundgehalt auch die private Nutzung eines Dienstwagens vor. Sein monatliches Bruttogehalt von 5.477,60 € setzte sich daher aus drei Teilen zusammen: einem Bar-Gehalt von 4.285,00 € und zwei geldwerten Vorteilen für die pauschale Privatnutzung (445,00 €) sowie die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (747,60 €). Der Mann war verheiratet und Vater von zwei minderjährigen Kindern; seine Ehefrau war ebenfalls berufstätig. Im Februar 2020 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2020. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses gab der Mitarbeiter, wie im Übergabeprotokoll vermerkt, den Dienstwagen samt Tankkarte zurück. Der Fall nahm jedoch eine Wendung: Im Zuge eines Kündigungsschutzverfahrens erklärte der Arbeitgeber, aus der Kündigung keine Rechte mehr herzuleiten….