Die Kläger forderten Schmerzensgeld wegen eines Unfalls, der durch ein in die Gegenfahrbahn geschleudertes Reh verursacht wurde; die zentrale Frage war die Haftung beim Wildunfall als unabwendbares Ereignis. Der Fahrer war nachweislich zu schnell unterwegs, doch das Gericht prüfte, ob der Zusammenstoß selbst für einen Idealfahrer vermeidbar gewesen wäre. Zum vorliegenden Urteil Az.: 11 U/23 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Oldenburg
- Datum: 15.12.2023
- Aktenzeichen: 11 U 3/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Straßenverkehrsrecht, Haftungsrecht, Schadensersatz
- Das Problem: Der Kläger wurde schwer verletzt, als ein Reh von der Gegenfahrbahnseite aus in seine Windschutzscheibe einschlug. Er forderte von der Versicherung des Gegenverkehrs Schadensersatz und Schmerzensgeld, weil die Fahrerin zu schnell gefahren sei.
- Die Rechtsfrage: Hätte die Fahrerin den Wildunfall vermeiden können, wenn sie ihre Geschwindigkeit an die Lichtverhältnisse und die Gefahr von Wildwechsel angepasst hätte?
- Die Antwort: Nein. Das Gericht sah den Unfall als ein Unabwendbares Ereignis an. Die Kollision wäre selbst bei einer vorsichtigeren Fahrweise (60–70 km/h) nicht vermeidbar gewesen, da die Sichtweite sehr gering war.
- Die Bedeutung: Autofahrer haften nicht für Unfälle, die auch ein besonders vorausschauender und sorgfältiger (Idealfahrer) nicht hätte verhindern können. Die Haftung entfällt, wenn ein Wildunfall auch bei angepasster Geschwindigkeit unvermeidbar gewesen wäre.
Haftung beim Wildunfall: Warum ein tragischer Zusammenstoß als unabwendbares Ereignis gelten kann
Ein spätabendlicher Wildunfall auf einer Landstraße führt zu verheerenden, lebensverändernden Verletzungen. Ein Mensch verliert seine Arbeitskraft und wird zum Pflegefall. Die Schuldfrage scheint auf den ersten Blick klar: Ein Reh, aufgeschreckt durch ein entgegenkommendes Fahrzeug, springt auf die Fahrbahn und kollidiert mit dem Auto des späteren Opfers. Doch die juristische Aufarbeitung ist weitaus komplexer. In einem bemerkenswerten Urteil vom 15. Dezember 2023 (Az. 11 U 3/23) musste das Oberlandesgericht Oldenburg die entscheidende Frage klären: Hätte die Fahrerin des entgegenkommenden Wagens den Unfall durch eine geringere Geschwindigkeit verhindern können und muss ihre Versicherung daher für den immensen Schaden aufkommen? Die Entscheidung taucht tief in die Physik der Unfallrekonstruktion und die juristische Figur des „Idealfahrers“ ein und zeigt, wann selbst eine objektiv zu hohe Geschwindigkeit nicht zwangsläufig zur Haftung führt.
Was genau war an jenem Abend passiert?
An einem Abend im Jahr 2011 gegen 22:35 Uhr ist ein Mann mit seinem Pkw auf einer Landstraße unterwegs. Die Fahrbahn ist trocken. Auf der Gegenfahrbahn nähert sich ein Auto, gelenkt von einer Zeugin und versichert bei der späteren Beklagten. Rechts von ihr erstreckt sich ein niedrig bewachsenes Getreidefeld. Plötzlich springt aus diesem Feld ein Reh auf die Straße. Es prallt jedoch nicht gegen das Auto auf seiner Fahrspur, sondern wird in die Luft geschleudert, durchschlägt die Windschutzscheibe des entgegenkommenden Klägers und trifft ihn am Kopf. Der Mann verliert die Kontrolle über sein Fahrzeug, kommt von der Straße ab und prallt gegen mehrere Bäume. Die Folgen sind katastrophal: Er erleidet schwerste körperliche und kognitive Beeinträchtigungen, die zu dauerhafter Erwerbsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit führen….