Ein Testamentsvollstrecker veräußerte eine Nachlassimmobilie zu einem Preis, der nur 47 Prozent des ermittelten Verkehrswerts betrug. Die Frage war, ob der Kaufvertrag unwirksam bei Verkauf unter Verkehrswert ist, selbst wenn die Erbin dem Geschäft zugestimmt hatte. Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 U 30/23 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
- Datum: 24.07.2025
- Aktenzeichen: 2 U 30/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Kaufvertragsrecht, Sittenwidrigkeit
- Das Problem: Ein Käufer erwarb ein Nachlassgrundstück vom Testamentsvollstrecker für 90.000 Euro. Die Alleinerbin verweigerte die Schlüsselübergabe, weil der tatsächliche Wert des Hauses 195.000 Euro betrug. Der Käufer verlangte die Herausgabe des Hauses und die Beseitigung der ausgetauschten Schlösser.
- Die Rechtsfrage: War der Kaufvertrag gültig, obwohl der Testamentsvollstrecker das Grundstück für weniger als die Hälfte seines Wertes veräußerte und der Käufer dies hätte erkennen müssen?
- Die Antwort: Nein. Das Gericht wies die Klage des Käufers ab. Der Verkauf war wegen sittenwidriger Umstände nichtig, da der Testamentsvollstrecker seine Pflichten verletzte und das grobe Missverhältnis dem Käufer bekannt sein musste.
- Die Bedeutung: Ein Verkauf von Nachlassimmobilien zu einem Preis, der weniger als die Hälfte des Verkehrswerts beträgt, kann den gesamten Vertrag unwirksam machen. Testamentsvollstrecker müssen höchste Sorgfalt walten lassen und dürfen das Erbe nicht grob unter Wert veräußern.
Kaufvertrag unwirksam: Warum ein Verkauf weit unter Wert sittenwidrig ist – auch mit Zustimmung der Erbin
Ein notariell beurkundeter Kaufvertrag und ein Eintrag im Grundbuch vermitteln das sichere Gefühl, rechtmäßiger Eigentümer einer Immobilie zu sein. Doch was, wenn der Kaufpreis nur bei weniger als der Hälfte des tatsächlichen Verkehrswertes liegt? Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem Urteil vom 24. Juli 2025 (Az. 2 U 30/23) entschieden, dass ein solches Geschäft selbst dann komplett nichtig sein kann, wenn der Testamentsvollstrecker gehandelt und die Alleinerbin dem Verkauf zugestimmt hat. Der Fall entlarvt eine juristische Kette von Pflichtverletzungen und sittenwidrigen Umständen, die am Ende den Käufer trotz Grundbucheintragung leer ausgehen lässt.
Was war der Auslöser für den Rechtsstreit?
Im Zentrum der Auseinandersetzung stand ein in den 1960er Jahren bebautes Hausgrundstück. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten im Februar 2020 wurde eine Frau dessen alleinige Erbin. Da der Verstorbene eine Testamentsvollstreckung angeordnet hatte, wurde ein Verwalter, Herr E., mit der Abwicklung des Nachlasses betraut. Zu diesem Nachlass gehörte auch besagtes Grundstück. Im August 2020 kam es zum Verkauf: Der Testamentsvollstrecker E. schloss mit einem Käufer einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über das Anwesen ab. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 90.000 Euro. Auch die Erbin stimmte dem Geschäft zu. Kurz darauf wurde der Käufer als neuer Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Die Sache schien abgeschlossen. Der Konflikt entzündete sich jedoch, als die Erbin die Übergabe der Schlüssel verweigerte. Ihr Argument: Der Kaufpreis sei viel zu niedrig und der Vertrag daher unwirksam. Ihre Vermutung bestätigte sich später auf dramatische Weise: Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger ermittelte einen tatsächlichen Verkehrswert der Immobilie von 195.000 Euro….