Die korrekte Verkehrswert-Berechnung mit lebenslangem Wohnrecht sollte klären, ob der notarielle Grundstücksverkauf zwischen den Eheleuten sittenwidrig und damit nichtig war. Ein Gutachten widerlegte die Vermutung der verwerflichen Gesinnung des Ehemannes, obwohl der Kaufpreis nur bei einem Drittel des ursprünglichen Schätzwertes lag. Zum vorliegenden Urteil Az.: 16 UF 906/22 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht München
- Datum: 25.04.2024
- Aktenzeichen: 16 UF 906/22
- Verfahren: Beschwerdeverfahren (Familiensache)
- Rechtsbereiche: Vertragsrecht, Immobilienrecht, Eherecht
- Das Problem: Die Ehefrau forderte die Rückgabe des ehemals gemeinsamen Grundstücks. Der Ehemann hatte es mithilfe einer Vollmacht an sich selbst verkauft. Sie behauptete, der Verkaufspreis sei viel zu niedrig und damit unwirksam.
- Die Rechtsfrage: War der Kaufvertrag unwirksam, weil der Preis sittenwidrig niedrig war oder der Ehemann die Vollmacht missbraucht hatte? Bestand ein Anspruch der Frau auf die Rückübertragung des Eigentums?
- Die Antwort: Nein, der Kaufvertrag ist wirksam. Der Preis war angemessen, weil der Wert des lebenslangen Wohnrechts des Mannes abgezogen werden musste. Es lag keine Sittenwidrigkeit oder ein Vollmachtsmissbrauch vor.
- Die Bedeutung: Ein bestehendes Wohnrecht mindert den Verkehrswert einer Immobilie stark. Der Verkauf eines so belasteten Grundstücks zu einem entsprechend niedrigen Preis ist gültig. Ein Gutachten kann die Vermutung einer verwerflichen Absicht entkräften.
Wie entscheidet ein lebenslanges Wohnrecht über den Verkehrswert – und die Gültigkeit eines Kaufvertrags?
Ein Ehemann nutzt eine Vollmacht, um das millionenschwere Grundstück seiner Frau an sich selbst zu verkaufen – für einen Preis, der auf den ersten Blick schockierend niedrig erscheint. Ein klarer Fall von Sittenwidrigkeit? Das Amtsgericht München bejahte dies. Doch das Oberlandesgericht München kam in seinem Beschluss vom 25. April 2024 (Az.: 16 UF 906/22) zu einem völlig anderen Ergebnis. Die Entscheidung offenbart, wie entscheidend eine einzige grundbuchrechtliche Belastung – ein lebenslanges Wohnrecht – sein kann und warum ein notarieller Kaufvertrag selbst bei einem scheinbar eklatanten Wertmissverhältnis Bestand haben kann.
Was genau war geschehen?
Die Geschichte beginnt Jahre vor dem eigentlichen Konflikt. Ein Ehepaar heiratete 2003. Drei Jahre später, im Dezember 2006, gab der Ehemann seiner Frau ein zinsloses Darlehen über 1,3 Millionen Euro. Der Zweck: Sie sollte ein Grundstück erwerben, das bestehende Gebäude abreißen und ein neues Einfamilienhaus errichten. Noch am selben Tag kaufte die Frau das besagte Grundstück und wurde wenig später als alleinige Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Die Vereinbarungen des Paares waren komplex und detailliert. Sie planten, innerhalb von sechs Monaten in den Güterstand der Gütertrennung zu wechseln. Der Zugewinnausgleichsanspruch, der der Frau dann zustehen würde, sollte direkt zur Tilgung des Darlehens verwendet werden. Zusätzlich sollte dem Ehemann ein lebenslanges Wohnrecht an dem gesamten Neubau eingeräumt werden. Der Wert dieses Wohnrechts sollte ebenfalls auf die Darlehenssumme angerechnet werden. Im April 2007 setzten sie diese Pläne notariell um. In einem Ehevertrag vereinbarten sie die Gütertrennung und bezifferten den Zugewinnausgleich der Frau auf 550.000 Euro. Gleichzeitig wurde das lebenslange Wohnrecht für den Mann beurkundet und sein Wert pauschal mit 650….