Der Anwalt legte Berufung ohne Auftrag ein, um die Frist für seinen bedürftigen Mandanten nicht verstreichen zu lassen. Er half dem Mandanten und steht nun selbst vor einem erheblichen Kostenrisiko, weil er die Prozesskostenhilfe-Prüfung vernachlässigte. Zum vorliegenden Urteil Az.: 20 U 78/25 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Kammergericht
- Datum: 17.09.2025
- Aktenzeichen: 20 U 78/25
- Verfahren: Beschluss
- Rechtsbereiche: Zivilprozessrecht, Kostenrecht, Anwaltspflichten
- Das Problem: Ein Anwalt legte für seinen bedürftigen Mandanten Berufung ein. Er tat dies ohne einen ausdrücklichen Auftrag seines Mandanten. Durch den späteren Widerruf entstanden unnötige Gerichtskosten.
- Die Rechtsfrage: Muss der Anwalt diese nutzlosen Verfahrenskosten selbst zahlen? Oder muss der Mandant für die ungefragte Berufung aufkommen?
- Die Antwort: Der Anwalt muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen. Er handelte pflichtwidrig, indem er die Berufung kostenpflichtig einlegte. Er kannte die Bedürftigkeit des Mandanten und hätte zuerst Prozesskostenhilfe prüfen müssen.
- Die Bedeutung: Anwälte müssen bei bedürftigen Mandanten immer den kostengünstigeren Weg prüfen. Kostenpflichtige Rechtsmittel dürfen nur mit einem klaren und ausdrücklichen Mandatsauftrag eingelegt werden.
Wann muss ein Anwalt die Kosten für eine Berufung ohne Auftrag selbst tragen?
Ein verlorener Prozess, eine tickende Frist und ein Mandant, der unerreichbar scheint – dieses Dilemma führte zu einer bemerkenswerten Entscheidung des Kammergerichts Berlin. In seinem Beschluss vom 17. September 2025 (Az. 20 U 78/25) machten die Richter unmissverständlich klar: Ein Anwalt, der im Eifer des Gefechts eine Berufung ohne klaren Auftrag einlegt, kann am Ende selbst auf den Kosten sitzen bleiben. Der Fall beleuchtet eindrücklich die Grenzen anwaltlicher Fürsorgepflicht und die Anwendung des sogenannten Veranlasserprinzips, einer Regel, die sicherstellt, dass derjenige für nutzlose Verfahrenskosten aufkommt, der sie verursacht hat.
Was war zwischen dem Mandanten und seinem Anwalt genau vorgefallen?
Die Geschichte begann mit einem Zivilprozess vor dem Landgericht, den ein Mann als Beklagter verlor. Das Gericht verurteilte ihn zur Zahlung von über 6.300 Euro. Da der Mann finanziell nicht in der Lage war, den Prozess zu führen, war ihm zuvor auf Antrag seines Anwalts Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt worden. Nach dem für ihn negativen Urteil brach der Kontakt zwischen dem Beklagten und seinem Anwalt ab. Der Anwalt stand nun vor einem Problem: Die einmonatige Frist zur Einlegung einer Berufung lief. Trotz mehrerer gescheiterter Kontaktversuche entschied er sich, im Namen seines Mandanten fristwahrend Berufung einzulegen, um die letzte juristische Möglichkeit offenzuhalten. Er beantragte und erhielt sogar eine Verlängerung für die Berufungsbegründung. Kurz vor Ablauf dieser verlängerten Frist meldete sich jedoch der Beklagte direkt beim Gericht. Er teilte telefonisch mit, erst kürzlich von der Berufung erfahren zu haben und diese niemals beauftragt zu haben. Er sei mittellos und habe seinen Anwalt bereits per E-Mail angewiesen, die Berufung zurückzunehmen. Der Senat des Kammergerichts forderte den Anwalt zur Stellungnahme auf. Dieser nahm daraufhin die Berufung offiziell zurück. Damit war das Berufungsverfahren beendet, bevor es richtig begonnen hatte – doch es hatte bereits Kosten verursacht. Nun stellte sich die entscheidende Frage: Wer sollte diese Kosten tragen?…