Eine Klägerin verlangte die isolierte Feststellung eines Einzel-GdB für ihre Taubheit, da sie Anspruch auf Gehörlosengeld ableitete. Die Richter mussten klären, ob Taubheit ohne weitere Einschränkungen überhaupt das begehrte Merkzeichen G begründen kann. Zum vorliegenden Urteil Az.: L 11 SB 11/23 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Berlin‑Brandenburg
- Datum: 03.02.2025
- Aktenzeichen: L 11 SB 11/23
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Schwerbehindertenrecht, Sozialrecht
- Das Problem: Eine Klägerin mit einem Gesamt-Grad der Behinderung (GdB) von 90 wollte erreichen, dass das Gericht einen sehr hohen GdB (über 90) speziell für ihre Gehörlosigkeit feststellt. Zusätzlich forderte sie das Merkzeichen „G“ (erhebliche Gehbeeinträchtigung im Straßenverkehr). Das zuständige Amt lehnte beides ab.
- Die Rechtsfrage: Kann der GdB für eine einzelne Behinderung (hier: Ohren) isoliert vor Gericht eingeklagt werden, und reichen die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin für das Merkzeichen „G“ aus?
- Die Antwort: Nein, die Berufung wurde zurückgewiesen. Der GdB für ein einzelnes Organ kann nicht separat eingeklagt werden, da er kein anfechtbarer Bescheid ist. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ waren nicht erfüllt, da die Kombination der Beeinträchtigungen nicht die nötige Schwere erreichte.
- Die Bedeutung: Betroffene können vor Gericht nur den Gesamt-GdB anfechten, nicht die isolierte Bewertung einzelner Funktionen. Für das Merkzeichen „G“ bei Gehörlosigkeit muss eine erhebliche Störung der Orientierung oder des Gleichgewichts hinzukommen, die im vorliegenden Fall nicht ausreichend nachgewiesen wurde.
Kann man einen Einzel-GdB für Taubheit isoliert einklagen und so das Merkzeichen G erhalten?
Ein fast lebenslanger Kampf gegen die Stille, der vor Gericht in eine grundsätzliche juristische Frage mündet: Kann man die Bewertung einer einzelnen Behinderung anfechten, auch wenn der Gesamtgrad der Behinderung dadurch gar nicht steigt? Und wann führt eine schwere Hörschädigung in Kombination mit anderen Leiden zu einer offiziell anerkannten, erheblichen Gehbehinderung? Mit diesen Kernfragen befasste sich das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung vom 3. Februar 2025 (Aktenzeichen: L 11 SB 11/23) und schuf damit Klarheit über die Grenzen des juristischen Vorgehens im Schwerbehindertenrecht.
Was genau war passiert?
Die Geschichte der Klägerin ist von einer fortschreitenden Verschlechterung ihres Hörvermögens geprägt. 1973 in der Türkei geboren, kam sie 1997 nach Deutschland. Bereits kurz darauf, im Jahr 1998, stellte die zuständige Behörde bei ihr einen Gesamtgrad der Behinderung (Gesamt-GdB) von 60 fest. Hauptursachen waren eine Innenohrschwerhörigkeit (bewertet mit einem Einzel-GdB von 50) und eine Sehbehinderung (Einzel-GdB 20). In den folgenden Jahren verschlechterte sich ihr Zustand. Die Behörde erhöhte den Gesamt-GdB mehrfach: 2003 auf 70 und 2007 auf 80, wobei die Hörbehinderung nun mit einem Einzel-GdB von 70 und eine neu hinzugekommene Depression mit 20 bewertet wurden. Der entscheidende Konflikt begann im Jahr 2014. Die Frau beantragte eine Neubewertung und insbesondere die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ für eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. Die Behörde lehnte dies zunächst ab. Daraufhin legte die Frau Widerspruch ein und beantragte eine Überprüfung….