Nach einem Verkehrsunfall ohne Berührung forderte ein Radfahrer Schadensersatz für seine zerbrochene, drei Jahre alte Brille. Trotz bejahter Betriebsgefahr des Pkws kürzte das Gericht die Brillenkosten um 25 Prozent und wog zusätzlich das Mitverschulden des Radfahrers. Zum vorliegenden Urteil Az.: 11 S 72/24 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Bochum
- Datum: 21.01.2025
- Aktenzeichen: 11 S 72/24
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Unfallrecht, Haftungsrecht, Schadensersatz
- Das Problem: Ein Fahrradfahrer stürzte, weil er dem entgegenkommenden Auto ausweichen musste. Es gab keinen direkten Kontakt zwischen Auto und Fahrrad. Der Radfahrer forderte Ersatz für seine zerstörte Brille und beschädigte Kleidung.
- Die Rechtsfrage: Haften Autofahrer oder Halter für Schäden, die im Straßenverkehr ohne eine physische Berührung entstehen? Wenn ja, wie wird die Schuld aufgeteilt und muss bei Ersatz einer Brille ein Abzug vorgenommen werden?
- Die Antwort: Ja, das Gericht bejahte die Haftung des Autofahrers, weil seine zu schnelle Fahrweise den Unfall mitverursacht hat. Wegen grober Fahrlässigkeit des Radfahrers wurde die Haftung jedoch hälftig (50 zu 50) geteilt.
- Die Bedeutung: Die Haftung für den Betrieb eines Kraftfahrzeugs greift auch ohne direkten Zusammenstoß, wenn die Fahrweise einen Unfall beeinflusst. Geschädigte müssen sich einen Abzug gefallen lassen, wenn die neue Ersatzsache (hier: Brille) einen wirtschaftlichen Vorteil bietet.
Der Fall vor Gericht
Wer zahlt Schäden bei einem Unfall ohne Zusammenstoß?
Im Mittelpunkt dieses Falles stand eine Brille. Zuerst die alte, die bei einem Fahrradsturz zerbrach. Dann die neue, für 768 Euro, deren Kosten der gestürzte Radfahrer ersetzt haben wollte. Der Haken an der Geschichte: Der Sturz passierte ohne jeden Kontakt zu dem Auto, dessen Fahrerin der Radfahrer verantwortlich machte. Der Fall vor dem Landgericht Bochum wurde so zu einer doppelten Prüfung. Erstens: Haftet ein Autofahrer für einen Unfall ohne Zusammenstoß? Und zweitens: Wenn ja, wie viel ist eine drei Jahre alte Brille heute überhaupt noch wert?
Warum haftet ein Autofahrer, obwohl er niemanden berührt hat?
Die Argumentation der Autofahrerin war simpel. Kein Kontakt, kein Schaden, keine Haftung. Das Gericht sah das anders. Es stützte seine Entscheidung auf ein mächtiges Prinzip des deutschen Verkehrsrechts – die sogenannte Betriebsgefahr. Im Straßenverkehrsgesetz (§ 7 StVG) ist festgelegt, dass der Halter eines Fahrzeugs schon für Schäden haftet, die allein „bei dem Betrieb“ seines Fahrzeugs entstehen. Ein direkter Anstoß ist dafür nicht nötig. Es reicht aus, wenn ein Auto durch seine Fahrweise den Ablauf eines Unfalls mitprägt. Die bloße Anwesenheit genügt nicht. Das Fahrzeug muss aktiv zum Geschehen beigetragen haben. Genau das stellte das Gericht hier fest. Die Fahrerin räumte selbst ein, schneller als Schrittgeschwindigkeit gefahren zu sein. Fotos zeigten ihr Auto zudem in einer Position deutlich entfernt vom rechten Fahrbahnrand – ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO). Ihre Fahrweise beeinflusste den Verkehr. Sie zwang den Radfahrer zu einer Reaktion. Dieser enge zeitliche und örtliche Zusammenhang zwischen dem Betrieb des Autos und dem Sturz des Radfahrers reichte dem Gericht aus, um eine Haftung zu begründen.
Traf den Radfahrer selbst eine Schuld am Unfall?
Der Radfahrer bekam Recht – aber nur zur Hälfte….