Ein Demonstrant in Ingolstadt bezeichnete Bundeskanzler Olaf Scholz auf einem Plakat als „Volksschädling“ und löste damit die Frage aus, wann politische Kritik als strafbare Beleidigung gilt. Das bayerische Gericht musste entscheiden, ob die Schwere der Beleidigung oder vielmehr die geringe Reichweite der Äußerung über die endgültige Strafbarkeit entscheidet. Zum vorliegenden Urteil Az.: 206 StRR 433/24 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 06. März 2025
- Aktenzeichen: 206 StRR 433/24
- Verfahren: Revision im Strafverfahren (Verwerfung des Antrags der Staatsanwaltschaft)
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Meinungsfreiheit
- Das Problem: Ein Teilnehmer einer lokalen Demonstration zeigte ein Plakat mit polemischen Bezeichnungen wie „Volksschädling“ gegen den Bundeskanzler. Die Staatsanwaltschaft wollte den Demonstranten wegen Beleidigung und der qualifizierten Form verurteilen lassen.
- Die Rechtsfrage: Gilt die Meinungsfreiheit auch für extrem zugespitzte politische Kritik, die mehrdeutig ist? Muss das Gericht bei der Beurteilung, ob eine Beleidigung das öffentliche Wirken eines Politikers erschwert, auch die äußeren Umstände und die Reichweite der Äußerung prüfen?
- Die Antwort: Die Revision wurde verworfen und der Freispruch bestätigt. Mehrdeutige, polemische Äußerungen müssen grundsätzlich zugunsten der Meinungsfreiheit ausgelegt werden. Das Gericht bestätigte, dass die äußeren Umstände (lokale Demo, geringe Teilnehmerzahl) zwingend zu berücksichtigen sind.
- Die Bedeutung: Überspitzte, aber inhaltliche politische Kritik an Regierungsmitgliedern bleibt stark durch die Meinungsfreiheit geschützt. Eine Behinderung des öffentlichen Wirkens eines Politikers wird nur angenommen, wenn die Verbreitung relevant ist und nicht nur eine lokale Wirkung entfaltet.
Der Fall vor Gericht
Wann wird politische Kritik zur strafbaren Beleidigung von Politikern?
Die Meinungsfreiheit in Deutschland ist ein scharfes Schwert. Doch wo verläuft die Grenze, wenn dieses Schwert auf die höchsten Repräsentanten des Staates zielt? Ein Mann in Ingolstadt testete diese Grenze mit einem Plakat, das Bundeskanzler Olaf Scholz als „Volksschädling“ diffamierte. Für die Anklage war der Fall klar: eine strafbare Beleidigung, die das Wirken des Kanzlers gefährdet. Doch die Justiz musste eine viel grundsätzlichere Frage klären: Kommt es bei einer solchen Attacke nur darauf an, was gesagt wird – oder auch darauf, wie und wo?
Was genau warf die Staatsanwaltschaft dem Demonstranten vor?
Auf einer Demonstration mit etwa 100 Teilnehmern zeigte ein Mann ein Plakat. Darauf standen zugespitzte Parolen wie „Amtseid von Volksverbrechern!“ und „Totengräber der Demokratie“. Drei Bundespolitiker waren hinter Gittern abgebildet: Innenministerin Nancy Faeser mit der Unterzeile „10-Punkte-Plan zur Volksvernichtung“, Wirtschaftsminister Robert Habeck mit einem ihm zugeschriebenen Zitat und Bundeskanzler Olaf Scholz, bezeichnet als „Volksschädling“. Die Staatsanwaltschaft wertete dies als Angriff auf die Ehre der Politiker. Sie klagte den Mann wegen Beleidigung an. Im Zentrum stand dabei eine besondere Vorschrift: die gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung nach § 188 Absatz 1 des Strafgesetzbuches (StGB). Diese Norm schützt Politiker nicht nur vor persönlicher Kränkung. Sie schützt auch ihre Fähigkeit, ihre öffentlichen Aufgaben ungestört auszuüben….