Eine Anwaltskanzlei benötigte die Akteneinsicht in die Nachlassakte für Dritte, um sich in einem Schadensersatzprozess gegen den vermeintlichen Erben zu verteidigen. Das Gericht musste klären, ob die Anfechtung der Erbenstellung die Verletzung strengster Persönlichkeitsrechte des Erblassers rechtfertigt. Zum vorliegenden Urteil Az.: 101 VA 12/25 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
- Datum: 07.05.2025
- Aktenzeichen: 101 VA 12/25
- Verfahren: Beschwerde gegen die Ablehnung von Akteneinsicht
- Rechtsbereiche: Nachlassrecht, Verfahrensrecht
- Das Problem: Eine Anwaltskanzlei forderte Einsicht in das psychiatrische Gutachten einer Nachlassakte. Die Kanzlei brauchte diese Informationen für einen separaten Zivilprozess gegen sie. Das Amtsgericht lehnte die ergänzende Einsicht in das Gutachten ab.
- Die Rechtsfrage: Hat eine außenstehende Partei ein Berechtigtes Interesse, vertrauliche Gutachten aus einer Erbschaftsakte einzusehen? Dieses Interesse muss vorliegen, wenn die Partei die geistige Verfassung des Verstorbenen anzweifeln muss, um einen anderen Rechtsstreit zu führen.
- Die Antwort: Das Gericht hob die Ablehnung der unteren Instanz auf. Die Behörde muss den Antrag der Kanzlei neu prüfen. Das Gericht stellte fest, dass ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht grundsätzlich vorliegt.
- Die Bedeutung: Auch externe Parteien können Einsicht in sensible Nachlassakten erhalten. Dies ist möglich, wenn sie diese Informationen zwingend für die Klärung eines anderen anhängigen Gerichtsverfahrens benötigen.
Der Fall vor Gericht
Darf man hinter das Schutzschild eines Erbscheins blicken?
Ein Erbschein ist im Rechtsverkehr ein mächtiges Dokument. Er wirkt wie ein offizielles Siegel, das verkündet: „Hier ist der Erbe“. Ein Mann nutzte dieses papierne Schild, um eine Anwaltskanzlei auf Schadensersatz zu verklagen. Die Kanzlei versuchte, hinter dieses Schild zu blicken. Sie forderte Zugang zu dem, was dem Erbschein seine Kraft gab: einem psychiatrischen Gutachten über den Verstorbenen. Die Weigerung des Gerichts, dieses Gutachten herauszugeben, zwang die Anwälte zu einem juristischen Manöver vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht.
Wie stark ist die Beweiskraft eines Erbscheins wirklich?
Im Zentrum des Falles stand ein Schadensersatzprozess. Ein Mann, vom Nachlassgericht als Alleinerbe bestätigt, verklagte eine Anwaltskanzlei. Sein Recht, überhaupt klagen zu dürfen – die sogenannte Aktivlegitimation –, leitete er aus seinem Erbschein ab. Die beklagte Kanzlei zweifelte genau diese Berechtigung an. Ihre These: Der Verstorbene war bei der Abfassung des Testaments, das den Mann zum Erben machte, gar nicht mehr testierfähig. Sollte diese Annahme zutreffen, wäre das Testament unwirksam und der Kläger kein Erbe. Sein Schadensersatzanspruch würde in sich zusammenfallen. Der Erbschein selbst begründet das Erbrecht nicht, er bezeugt es nur. Das Bürgerliche Gesetzbuch stattet ihn mit einer starken rechtlichen Vermutung aus, dass die darin enthaltenen Angaben korrekt sind (§ 2365 BGB). Im Zivilprozess bedeutet das: Wer den Erbschein vorlegt, hat seine Erbenstellung zunächst bewiesen. Diese Vermutung ist aber kein unumstößliches Gesetz. Sie kann widerlegt werden, wie es die Zivilprozessordnung vorsieht (§ 292 ZPO)….