Ein Erblasser überschrieb 1998 sein vermietetes Haus gegen eine im Grundbuch gesicherte Leibrente. Die Erben forderten Jahre später den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Trotz der offiziellen Übertragung des Grundstücks entschied das Gericht, dass der Fristanlauf der Zehnjahresfrist erst 15 Jahre später beginnen konnte. Zum vorliegenden Urteil Az.: 1 U 1335/24 Erb | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
- Datum: 27.06.2025
- Aktenzeichen: 1 U 1335/24 Erb
- Verfahren: Berufung in einem Verfahren zur Pflichtteilsergänzung
- Rechtsbereiche: Erbrecht, Schenkungsrecht, Pflichtteilsrecht
- Das Problem: Eine Tochter forderte vom Alleinerben einen Pflichtteil auf Grundstücke, die ihre Mutter bereits zu Lebzeiten auf den Erben übertragen hatte. Die Übertragung erfolgte gegen die Zusage einer lebenslangen Rente, die am Grundstück gesichert war.
- Die Rechtsfrage: Beginnt die Zehnjahresfrist für den Pflichtteil sofort nach der Übergabe eines Hauses, wenn der Schenker dafür weiterhin regelmäßige, an Mieteinnahmen geknüpfte und dinglich gesicherte Einnahmen erhält?
- Die Antwort: Nein. Die Frist begann erst, als die Mutter auf ihre gesicherte Rente verzichtete und die Sicherung gelöscht wurde. Solange der Schenker durch vertragliche Ausgestaltung den Nutzungswert des Vermögens wirtschaftlich weiter erhält, gilt die Schenkung als nicht vollzogen.
- Die Bedeutung: Die Frist für Pflichtteilsansprüche wird gehemmt, wenn der Schenker den wirtschaftlichen Nutzen (den sogenannten Genuss) eines verschenkten Objekts durch eine abgesicherte Rente oder ähnliche Rechte de facto behält. Die rein formelle Eigentumsübertragung im Grundbuch ist dafür nicht ausreichend.
Der Fall vor Gericht
Wann beginnt die Zehnjahresfrist für den Pflichtteil wirklich zu laufen?
Im Erbrecht gibt es eine tickende Uhr: die Zehnjahresfrist. Geschenke, die ein Erblasser mehr als zehn Jahre vor seinem Tod macht, sind für enterbte Kinder in der Regel unerreichbar. Ein Sohn glaubte sich auf der sicheren Seite. Seine Mutter hatte ihm schon 1996 ein Grundstück überschrieben. Ihr Tod kam erst 2021. Doch die Gerichte sahen ein Detail, das die Zeitrechnung komplett auf den Kopf stellte. Sie entschieden: Die Uhr für den sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) begann erst 17 Jahre später zu ticken.
War die monatliche Rente eine echte Gegenleistung oder nur umgeleitete Miete?
Eine Mutter übertrug ihrem Sohn im Jahr 1995 per Notarvertrag vier Grundstücke, darunter ein vermietetes Wohnhaus. Der Name des Sohnes stand ab März 1996 im Grundbuch. Auf dem Papier war er der neue Eigentümer. Der Vertrag sah aber eine Gegenleistung vor. Die Mutter erhielt eine lebenslange, wertbeständige Rente von monatlich 1.500 DM. Diese Rente war nicht nur irgendeine Zahl. Der Vertrag hielt ausdrücklich fest, dass die Mieteinnahmen des Hauses – damals rund 1.900 DM – die „Grundlage für die Zahlungsverpflichtung“ bildeten. Zur Sicherheit wurde zugunsten der Mutter eine Reallast (§ 1105 BGB) im Grundbuch eingetragen. Diese dingliche Sicherung garantierte ihre Ansprüche direkt aus dem Grundstückswert. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2021 forderte ihre enterbte Tochter, die Schwester des Beschenkten, ihren Anteil am Wert des Hauses. Der Bruder wehrte sich. Er argumentierte, die Schenkung liege über 25 Jahre zurück. Die Zehnjahresfrist sei längst abgelaufen. Die Rente sei eine echte Gegenleistung gewesen, er habe das Grundstück nicht umsonst bekommen….