Trotz chronischer Schmerzstörung und Pflegegrad II wurde einem Instandhaltungsmechaniker die Rente wegen voller Erwerbsminderung mehrfach verwehrt. Erst als das Sozialgericht die selektive Gutachten-Bewertung der Behörde rügte, änderte sich die rechtliche Lage des Klägers. Zum vorliegenden Urteil Az.: S 11 R 214/21 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Sozialgericht Halle (Saale)
- Datum: 18.10.2022
- Aktenzeichen: S 11 R 214/21
- Verfahren: Klage auf Rente wegen voller Erwerbsminderung
- Rechtsbereiche: Sozialrecht, Rentenversicherungsrecht
- Das Problem: Der Kläger beantragte bei der Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Rentenversicherung lehnte den Antrag ab, weil sie ihn für noch mindestens sechs Stunden täglich arbeitsfähig hielt.
- Die Rechtsfrage: Hat der Kläger aufgrund seiner schweren Erkrankungen Anspruch auf die volle Rente wegen Erwerbsminderung?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht verurteilte die Rentenversicherung zur Zahlung der vollen Erwerbsminderungsrente. Es folgte dem gerichtlichen Gutachten, das ein tägliches Leistungsvermögen von unter drei Stunden feststellte. Die Rente wird befristet für drei Jahre zugesprochen.
- Die Bedeutung: Versicherungen müssen eindeutigen und schlüssigen gerichtlichen Gutachten folgen. Behörden dürfen Gutachten nicht selektiv ablehnen, wenn diese das Leistungsvermögen klar belegen.
Der Fall vor Gericht
Was entscheidet über eine Rente wegen voller Erwerbsminderung?
Für die Rente wegen Erwerbsminderung zählt am Ende eine einzige Zahl: die Anzahl der Stunden, die ein Mensch pro Tag noch arbeiten kann. Liegt sie unter drei, gilt man als voll erwerbsgemindert. Liegt sie darüber, gibt es oft nichts. Ein Mann mit schwerer chronischer Schmerzerkrankung fand sich genau in diesem Zahlen-Limbo wieder. Die Gutachten der Rentenversicherung sahen ihn bei über sechs Stunden. Sein eigenes Empfinden lag bei null. Ein vom Gericht bestellter Gutachter sollte Klarheit schaffen – und seine Analyse pulverisierte die bisherige Rechnung der Behörde.
Worin bestand der Widerspruch zwischen den Gutachten?
Der Kläger, ein gelernter Instandhaltungsmechaniker, litt unter einer ganzen Reihe von Krankheiten. Morbus Bechterew, eine chronische Schmerzstörung und massive Bandscheibenprobleme hatten seinen Alltag zur Qual gemacht. Er beantragte Rente wegen Erwerbsminderung. Die Rentenversicherung lehnte ab. Ihre Begründung stützte sich auf ärztliche Berichte und die Einschätzung aus einer Reha-Maßnahme. Diese Dokumente kamen zu dem Schluss: Für seinen alten Beruf sei der Mann ungeeignet, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er aber noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Der Mann widersprach dieser Einschätzung. Er schilderte ständige Schmerzen, Schwindel, Antriebslosigkeit. Seine Gehfähigkeit sei massiv eingeschränkt, er benötige einen Gehstock. Pflegegrad II wurde ihm bereits zuerkannt. Die Rentenversicherung blieb bei ihrer Haltung. Sie ließ im Widerspruchsverfahren ein orthopädisches Gutachten erstellen. Auch dieses kam zu einem ähnlichen Ergebnis – mehr als sechs Stunden für leichte Tätigkeiten. Der Mann erhob Klage beim Sozialgericht Halle. Er war überzeugt: Sein Zustand wurde nicht richtig erfasst.
Welches Beweismittel gab für das Gericht den Ausschlag?
Das Gericht stand vor einem Dilemma. Es lagen mehrere medizinische Einschätzungen vor, die sich widersprachen….