Trotz eines GdB von 60 und schwerer Krebserkrankung wurden der Klägerin die Merkzeichen G und B Voraussetzungen verwehrt. Das Landessozialgericht musste klären, ob episodische, subjektiv stark empfundene Ängste für eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit ausreichen. Zum vorliegenden Urteil Az.: L 7 SB 56/22 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
- Datum: 12.11.2024
- Aktenzeichen: L 7 SB 56/22
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Schwerbehindertenrecht, Nachteilsausgleiche
- Das Problem: Eine Klägerin forderte die rückwirkende Feststellung eines GdB von 60 ab Anfang 2019. Sie wollte zudem die Merkzeichen G (erhebliche Gehbeeinträchtigung) und B (Begleitperson) erhalten. Die Behörde hatte den GdB 60 erst ab Mai 2020 anerkannt und die Merkzeichen abgelehnt.
- Die Rechtsfrage: Muss die Behörde der Klägerin die Merkzeichen G und B zuerkennen? Und muss der festgestellte GdB früher als von der Behörde festgelegt gelten?
- Die Antwort: Nein. Das Gericht wies die Berufung zurück. Die medizinischen Unterlagen belegen keine dauerhafte und erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit für die Merkzeichen G und B. Die Forderung nach einer Rückdatierung des GdB war in diesem Verfahren unzulässig.
- Die Bedeutung: Der Anspruch auf Merkzeichen setzt den Nachweis dauerhafter und schwerwiegender Funktionsstörungen voraus. Episodische Beschwerden, wie vorübergehende Koliken oder nur manchmal auftretender Schwindel, reichen dafür nicht aus.
Der Fall vor Gericht
Reicht gefühlte Hilflosigkeit für die Merkzeichen G und B?
Eine Frau, die bereits eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezog, fühlte sich in der Öffentlichkeit unsicher. Nach einer Brustkrebserkrankung kämpfte sie mit Ängsten, Orientierungsproblemen und Schwindel. Sie brauche Hilfe beim Ein- und Aussteigen in Bus und Bahn, argumentierte sie. Für sie war der Fall klar: Ihr Zustand rechtfertigte die Merkzeichen G für eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit und B für die Notwendigkeit einer ständigen Begleitperson. Die zuständige Behörde und später die Gerichte sahen das anders. Sie prüften nicht das Gefühl der Hilflosigkeit, sondern eine Liste starrer Kriterien. Der Fall vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zeigt, wie scharf die juristische Definition von „Gehbehinderung“ von der persönlichen Wahrnehmung abweichen kann.
Warum lehnte die Behörde die Merkzeichen von Anfang an ab?
Die Frau stellte im Mai 2020 einen Antrag auf Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB). Die Behörde erkannte ihre Leiden – allen voran die Folgen der Krebserkrankung in Heilungsbewährung und eine psychische Beeinträchtigung – an und setzte einen GdB von 60 fest. Damit galt sie als schwerbehindert. Den Antrag auf die Merkzeichen G und B lehnte die Behörde aber ab. Ihre Begründung stützte sich auf die eingereichten ärztlichen Unterlagen. Aus diesen Berichten ging nach Ansicht des Amtes kein Zustand hervor, der die strengen gesetzlichen Voraussetzungen für eine Mobilitätseinschränkung erfüllt. Weder die orthopädischen Befunde noch die Berichte über Schwindel, Hörprobleme oder innere Leiden belegten eine dauerhafte, gravierende Störung der Gehfähigkeit. Die Frau legte Widerspruch ein, blieb aber erfolglos und zog vor das Sozialgericht.
Welche Kriterien legt das Gesetz für eine „erhebliche Gehbehinderung“ an?
Das Gericht prüfte den Fall nicht nach dem subjektiven Empfinden der Klägerin….