Die private Unfallversicherung verweigerte eine Nachzahlung, obwohl die fristgerechte ärztliche Invaliditätsfeststellung AUB für die Hauptverletzung pünktlich vorlag. Darf der Versicherer die Leistung ablehnen, weil unsichtbare neuropathische Schmerzen nicht separat im selben Körperbereich festgestellt wurden? Zum vorliegenden Urteil Az.: 8 U 736/25 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
- Datum: 29.09.2025
- Aktenzeichen: 8 U 736/25
- Verfahren: Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Landgericht
- Rechtsbereiche: Private Unfallversicherung, Zivilprozessrecht
- Das Problem: Ein Versicherter forderte von seiner privaten Unfallversicherung eine Nachzahlung wegen einer hohen Invalidität nach einem Arbeitsunfall. Die Versicherung lehnte Ansprüche wegen unfallbedingter neuropathischer Schmerzen ab. Sie behauptete, diese Schmerzen seien nicht fristgerecht ärztlich bescheinigt worden. Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage zudem wegen eines angeblich verspäteten Vortrags des Klägers ab.
- Die Rechtsfrage: Darf ein Gericht den Vortrag einer Partei als zu spät zurückweisen, obwohl es zuvor eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hatte? Verliert ein Versicherter seinen Anspruch, wenn Folgeerscheinungen wie Schmerzen am selben Körperteil nicht separat, aber die Primärverletzung fristgerecht gemeldet wurde?
- Die Antwort: Nein. Das Oberlandesgericht hob das Urteil des Landgerichts auf. Das Landgericht verletzte das rechtliche Gehör des Klägers durch die unzulässige Abweisung des rechtzeitig eingegangenen Vortrags. Die fristgerechte Feststellung der Primärverletzung am Körperteil schließt auch adäquate Schmerzsyndrome desselben Bereichs mit ein.
- Die Bedeutung: Ein Gericht muss fristgerecht eingereichte Schriftsätze berücksichtigen. Im Versicherungsrecht muss die Versicherung Folgeschäden, die denselben Körperbereich betreffen wie die bereits fristgerecht gemeldete Hauptverletzung, bei der Leistungsprüfung berücksichtigen.
Der Fall vor Gericht
Erfasst eine ärztliche Invaliditätsfeststellung auch unsichtbare Schmerzen?
Ein Arbeitsunfall hinterlässt sichtbare Spuren: gerissene Muskeln am Sitzbein, eine verletzte Sehne in der Schulter. Die private Unfallversicherung des Mannes erkennt die Verletzungen an und zahlt auf Basis eines orthopädischen Gutachtens eine erste Summe. Doch der Verletzte spürt mehr. Ein quälender, unsichtbarer Schmerz durchzieht sein Bein und seine Schulter – eine neuropathische Symptomatik, die sein Leben stark beeinträchtigt. Er fordert eine Nachzahlung seiner Invaliditätsleistung, denn sein Leiden sei weitaus größer als von der Versicherung bemessen. Die Versicherung weigert sich. Ihr Argument: Für diesen „unsichtbaren“ Schaden fehle ein entscheidendes Dokument, das fristgerecht hätte eingereicht werden müssen. Der Fall landete vor Gericht, wurde zunächst abgewiesen und ging dann in die nächste Instanz. Das Oberlandesgericht Nürnberg musste klären, ob jede einzelne Folge eines Unfalls penibel auf einem separaten Attest dokumentiert sein muss.
Warum kassierte das OLG das erste Urteil komplett?
Das erste Urteil des Landgerichts Ansbach scheiterte an einem schweren Verfahrensfehler. Die Richterin hatte den Vortrag des Mannes zu seinen Nervenschmerzen als zu ungenau kritisiert. Sie gab ihm daraufhin eine offizielle Frist, um seine Argumente schriftlich zu präzisieren – ein übliches Vorgehen nach der Zivilprozessordnung (§ 139 Abs. 5 ZPO)….