Ein ehrenamtlicher Betreuer wurde von seinem betreuten Angehörigen tätlich angegriffen, als er wegen Schimmelbefalls dessen Gesundheit schützen wollte. Entscheidend war, ob die Gefahrenabwehr in der gemeinsamen Wohnung noch unter die versicherte Betreuertätigkeit und somit als Arbeitsunfall fällt. Zum vorliegenden Urteil Az.: L 6 U 19/23 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Sachsen‑Anhalt
- Datum: 26. Juni 2024
- Aktenzeichen: L 6 U 19/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Unfallversicherung, Betreuungsrecht
- Das Problem: Ein ehrenamtlicher Betreuer wurde bei dem Versuch, ärztliche Hilfe zu rufen, von seinem betreuten Sohn mit einer Vase angegriffen und verletzt. Die Unfallversicherung weigerte sich, den Vorfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.
- Die Rechtsfrage: Ist ein gerichtlich bestellter, ehrenamtlicher Betreuer durch die Gesetzliche Unfallversicherung geschützt, wenn er bei der Ausübung seiner Fürsorgepflicht durch den Betreuten selbst verletzt wird?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht stellte fest, dass die Verletzung ein Arbeitsunfall war. Der gesetzliche Auftrag zur Sorge für die Gesundheit umfasst auch tatsächliche Tätigkeiten wie die Abwehr von akuten Gesundheitsgefahren.
- Die Bedeutung: Der Unfallversicherungsschutz für ehrenamtliche Betreuer ist umfassend. Er gilt auch für kritische Situationen und alltägliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, selbst wenn der Betreuer und der Betreute verwandt sind.
Der Fall vor Gericht
War der Angriff des Sohnes ein Arbeitsunfall des Vaters?
Für die Unfallversicherung war die Trennlinie klar: Ein Vater, der mit seinem Sohn über ein unordentliches Zimmer streitet, handelt privat. Ein gerichtlich bestellter Betreuer, der sich um die Gesundheit seines Schützlings kümmert, erfüllt eine öffentliche Aufgabe. Das Problem in diesem Fall war, dass beides im selben Moment und in derselben Person zusammenfiel. Ein heftiger Schlag mit einer Blumenvase zwang das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zu der Entscheidung, auf welcher Seite dieser unsichtbaren Linie der Vorfall lag – und ob er damit ein versicherter Arbeitsunfall war. Die Ausgangslage war eine alltägliche und zugleich belastende Familiensituation. Ein Vater war vom Amtsgericht als ehrenamtlicher Betreuer für seinen erwachsenen, geistig behinderten Sohn bestellt. Seine Aufgaben umfassten unter anderem die Sorge für die Gesundheit und die Aufenthaltsbestimmung. Beide lebten in einer gemeinsamen Wohnung. Ein Schimmelbefall im Zimmer des Sohnes entwickelte sich zum Konfliktpunkt. Der Vater organisierte einen Gutachtertermin, doch der Sohn verweigerte jeden Zutritt. Am 15. Februar 2016 eskalierte die Lage. Der Sohn schlug mit einem Hammer auf eine Tür ein. Der Vater griff zum Telefon, um den Rettungsdienst und die Polizei zu rufen. In diesem Moment attackierte ihn sein Sohn. Er befreite sich aus einem Haltegriff, ergriff eine große Vase und schlug sie seinem Vater auf den Kopf. Die Folge war eine Platzwunde und, nach Angaben des Vaters, ein nachfolgender Schlaganfall.
Warum lehnte die Versicherung die Anerkennung als Arbeitsunfall ab?
Die zuständige Unfallversicherung sah die Sache nüchtern. Der Vater gehöre als ehrenamtlicher Betreuer zwar grundsätzlich zu dem Personenkreis, der unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII)….