Nach einer schweren Ellenbogen-Verletzung stritt ein Kläger um die MdE-Berechnung nach Arbeitsunfall und forderte eine dauerhafte Rente von 20 Prozent. Obwohl ein moderner medizinischer Score die Schwere der Einschränkung bestätigte, weigerten sich die Richter, diesen als alleinige rechtliche Grundlage anzuerkennen. Zum vorliegenden Urteil Az.: L 6 U 95/21 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
- Datum: 09.08.2023
- Aktenzeichen: L 6 U 95/21
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Gesetzliche Unfallversicherung, Verletztenrente, Minderung der Erwerbsfähigkeit
- Das Problem: Ein Mann forderte von der Unfallversicherung weiterhin eine Verletztenrente wegen anhaltender Folgen eines Arbeitsunfalls am Ellenbogen. Die Versicherung hatte die Rente entzogen, weil die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 Prozent auf 10 Prozent gesunken sei.
- Die Rechtsfrage: Muss die gesetzliche Unfallversicherung weiterhin eine Rente zahlen, obwohl die objektiven Bewegungseinschränkungen des Ellenbogens nur noch eine MdE von 10 Prozent nach den üblichen Referenztabellen begründen?
- Die Antwort: Nein. Der Anspruch auf eine dauerhafte Rente besteht nicht, da die MdE des Klägers nur 10 Prozent beträgt. Das Gericht stellte fest, dass die MdE nach etablierten Tabellen und nicht nach dem vom Kläger herangezogenen Broberg-Morrey-Score zu bemessen ist.
- Die Bedeutung: Bei der Berechnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit dürfen Ärzte medizinische Scores, die subjektive Schmerzen oder Alltagsfunktionen bewerten, nicht direkt als Maßstab verwenden. Entscheidend für die Rente sind allein die verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Erwerbsleben, gemessen an objektiven Funktionsbefunden und juristischen Erfahrungswerten.
Der Fall vor Gericht
Was ist der Unterschied zwischen einer medizinischen Diagnose und einem juristischen Anspruch?
Nach einem Arbeitsunfall mit komplizierter Ellenbogen-Verletzung fand sich ein Mann in einer scheinbar absurden Situation wieder. Ein von ihm beauftragter Spezialist bewertete seine Funktionseinschränkung mit einem anerkannten medizinischen Punktesystem, dem Broberg-Morrey-Score, und kam auf einen Wert, der eine Rente rechtfertigte. Die Unfallversicherung und später die Gerichte sahen das anders. Sie ignorierten den Score und griffen auf jahrzehntealte Tabellenwerke zurück, die ein ganz anderes Ergebnis lieferten. Es entbrannte ein Streit, der tief in das System der gesetzlichen Unfallversicherung führt und eine Kernfrage beleuchtet: Ist ein medizinischer Befund dasselbe wie ein juristischer Rentenanspruch?
Wie kam es überhaupt zum Streit um die Verletztenrente?
Ein Angestellter stürzte 2016 bei einer Betriebsveranstaltung unglücklich auf seinen linken Arm. Die Diagnose war schwerwiegend: eine Ellenbogenluxation mit Radiusköpfchenfraktur. Eine Prothese musste operativ eingesetzt werden. Die zuständige gesetzliche Unfallversicherung erkannte den Vorfall als Arbeitsunfall an. Ein von ihr bestellter Gutachter stellte 2017 fest, dass die Beweglichkeit des Arms eingeschränkt war. Er bewertete die daraus resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit – kurz MdE – auf 20 Prozent. Das war der kritische Schwellenwert. Liegt die MdE bei mindestens 20 Prozent, besteht ein Anspruch auf eine Verletztenrente nach dem Sozialgesetzbuch (§ 56 Abs. 1 SGB VII). Die Versicherung zahlte dem Mann eine vorläufige Rente….