Nach einem Rotlichtverstoß von über einer Sekunde beantragte ein Berliner Selbständiger das Absehen vom Fahrverbot wegen des Nachweises der außergewöhnlichen Härte für Selbständige. Obwohl die Existenz des Händlers auf dem Spiel stand, genügte dem Gericht die Darstellung der drohenden Pleite allein nicht. Zum vorliegenden Urteil Az.: 3 Ws (B) 439/04 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Kammergericht zu Berlin
- Datum: 30.09.2004
- Aktenzeichen: 3 Ws (B) 439/04
- Verfahren: Rechtsbeschwerdeverfahren
- Rechtsbereiche: Straßenverkehrsrecht, Bußgeldrecht
- Das Problem: Ein selbstständiger Kaufmann fuhr bei Rot und erhielt einen Bußgeldbescheid mit Fahrverbot. Die erste Instanz verzichtete auf das Fahrverbot, weil der Mann angab, dies sei existenzgefährdend für seinen Ein-Mann-Betrieb. Die Staatsanwaltschaft hielt diesen Verzicht für rechtswidrig.
- Die Rechtsfrage: Darf ein Gericht bei einem schweren Rotlichtverstoß auf das sonst vorgeschriebene Fahrverbot verzichten, wenn es die behauptete Existenzgefährdung des Betroffenen nicht detailliert geprüft hat?
- Die Antwort: Nein. Das Kammergericht hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück. Das Gericht hatte die Behauptung der Existenzgefährdung lediglich hingenommen, ohne überprüfbare Feststellungen zu Einkommen oder Ersparnissen zu treffen.
- Die Bedeutung: Wer bei einer groben Pflichtverletzung im Straßenverkehr (wie Rotlichtverstoß über eine Sekunde) das Regelfahrverbot abwenden will, muss eine Außergewöhnliche Härte durch konkrete, detaillierte und nachprüfbare wirtschaftliche Zahlen belegen. Reine Verweise auf die berufliche Abhängigkeit genügen nicht, da diese als normale Folge eines Fahrverbots gelten.
Der Fall vor Gericht
Warum wurde das Urteil gegen den Zigarrenhändler aufgehoben?
Stellen Sie sich eine Waage vor. Auf der einen Seite liegt die Sicherheit im Straßenverkehr, symbolisiert durch ein klares Rotlichtverbot. Auf der anderen Seite liegt die wirtschaftliche Existenz eines Kleinunternehmers. Ein Berliner Amtsrichter meinte, die zweite Schale wiege schwerer, und kippte ein standardmäßiges Fahrverbot für einen selbständigen Zigarrenhändler. Doch die nächsthöhere Instanz – das Kammergericht – sah genauer hin. Sie stellte fest, dass der Richter vergessen hatte, die zweite Waagschale überhaupt mit Fakten zu beladen. Die bloße Behauptung einer „außergewöhnlichen Härte“ reichte nicht aus. Der Händler war nachts über eine Ampel gefahren, die schon länger als eine Sekunde Rot zeigte. Fußgänger hatten bereits Grün. Der Bußgeldkatalog sieht für eine solche grobe Pflichtverletzung (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 BKAtV) klar ein einmonatiges Fahrverbot vor (§ 25 StVG). Der Mann legte Einspruch ein, aber nur gegen die Strafe. Vor dem Amtsgericht Tiergarten hatte er Erfolg. Er argumentierte, als Ein-Mann-Betrieb sei er auf sein Auto angewiesen, um Zigarren auszuliefern. Einen Fahrer oder einen Monat Urlaub könne er sich nicht leisten. Das Fahrverbot würde seine Existenz gefährden. Der Amtsrichter folgte dem, verzichtete auf das Fahrverbot und verdoppelte im Gegenzug die Geldbuße auf 250 Euro. Die Amtsanwaltschaft akzeptierte diese Entscheidung nicht. Sie legte Rechtsbeschwerde ein. Ihr Argument: Das Urteil sei rechtlich nicht haltbar. Es basiere auf reinen Behauptungen, nicht auf überprüfbaren Tatsachen. Das Kammergericht stimmte der Amtsanwaltschaft zu. Es hob das Urteil auf und schickte den Fall zur Neuverhandlung zurück….