Ein Kläger forderte eine höhere Rente, weil die Unfallversicherung die funktionelle Gleichstellung nach Daumenverlust ignorierte und nur 15 Prozent MdE anerkannte. Obwohl anatomisch nur ein Teil fehlte, musste das Gericht klären, ob die massive Gebrauchsbeeinträchtigung den Anspruch auf 20 v. H. MdE begründet. Zum vorliegenden Urteil Az.: L 5 U 36/16 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Mecklenburg‑Vorpommern
- Datum: 29.11.2019
- Aktenzeichen: L 5 U 36/16
- Verfahren: Berufungsverfahren zur gesetzlichen Unfallversicherung
- Rechtsbereiche: Gesetzliche Unfallversicherung, Sozialrecht, Medizinische Begutachtung
- Das Problem: Ein Mann erlitt 1979 einen Arbeitsunfall, bei dem ihm ein Teil des rechten Daumens amputiert wurde. Er forderte ab 2009 eine Verletztenrente, weil sich die Funktion seiner Hand verschlechtert hatte. Die Unfallversicherung lehnte dies ab und argumentierte, dass nur der vollständige Daumenverlust eine Rente rechtfertige.
- Die Rechtsfrage: Hatte der Kläger durch die Teilamputation und die Folgeschäden eine so starke und funktionelle Einschränkung, dass er Anspruch auf die geforderte Unfallrente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 Prozent hatte?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht sah die funktionellen Einschränkungen des kurzen Stumpfes, einschließlich Schmerzen und fehlender Greiffunktion, als gleichwertig mit einem vollständigen Daumenverlust an. Dem Kläger steht daher ab Dezember 2009 eine Verletztenrente von 20 Prozent zu.
- Die Bedeutung: Bei der Bemessung von Unfallrenten ist die tatsächliche funktionelle Beeinträchtigung der Hand im Erwerbsleben entscheidend. Die reine Stumpflänge ist nicht ausschlaggebend. Eine Teilamputation kann funktional einem vollständigen Verlust gleichgestellt werden, wenn wesentliche Greiffunktionen (wie Spitz- oder Schlüsselgriff) dadurch unmöglich werden.
Der Fall vor Gericht
Wann ist ein Teilverlust so viel wert wie ein Totalverlust?
Einige Millimeter machten den Unterschied. Für die gesetzliche Unfallversicherung war der Fall klar: Einem Mann, der bei einem Arbeitsunfall 1979 einen Teil seines Daumens verloren hatte, fehlte der entscheidende Rest, um eine Rente zu beanspruchen. Ihre Tabellen waren präzise. 20 Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit – die magische Grenze für eine Verletztenrente – gab es erst bei komplettem Verlust. Doch der Mann erlebte eine andere Realität. Eine Realität aus Dauerschmerz, Kälteempfindlichkeit und einem Griff, der ins Leere ging. Sein Kampf vor Gericht wurde zu einer Grundsatzfrage: Zählt am Ende, was auf dem Lineal steht, oder was eine Hand im Arbeitsleben tatsächlich noch leisten kann?
Wie wird die MdE bei einer Daumen-Teilamputation berechnet?
Der Anspruch auf eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hängt an einer einzigen Kennzahl: der Minderung der Erwerbsfähigkeit, kurz MdE. Das Siebte Buch Sozialgesetzbuch legt fest, dass ein Versicherter erst dann eine Rente erhält, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls um mindestens 20 Prozent gemindert ist (§ 56 Abs. 1 SGB VII). Diese MdE beschreibt, wie stark die körperlichen und geistigen Fähigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingeschränkt sind. Es geht nicht um einen konkreten Beruf, sondern um die Abstrakte Leistungsfähigkeit. Zur Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nutzen Ärzte und Versicherungen spezielle Erfahrungswerte und Tabellen….