Ein Schichtarbeiter in der Milchwirtschaft forderte den doppelten Nachtarbeitszuschlag, weil der Tarifvertrag regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit unterschiedlich vergütete. Obwohl er seit Jahren planbare Schichtarbeit leistete, verlangte er den 50-Prozent-Satz für eigentlich unregelmäßige Dienste. Zum vorliegenden Urteil Az.: 5 Sa 257/21 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg‑Vorpommern
- Datum: 15.08.2023
- Aktenzeichen: 5 Sa 257/21
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Tarifrecht, Arbeitsrecht, Gleichbehandlung
- Das Problem: Ein Arbeitnehmer, der regelmäßig Nachtschicht leistete, erhielt 25 Prozent Nachtzuschlag nach Tarifvertrag. Er forderte den doppelten Zuschlag von 50 Prozent, der nur für unregelmäßige Nachtarbeit vorgesehen war.
- Die Rechtsfrage: Darf ein Tarifvertrag Beschäftigte mit planbarer, regelmäßiger Nachtarbeit schlechter bezahlen als Beschäftigte mit unregelmäßiger Nachtarbeit?
- Die Antwort: Ja, diese Unterscheidung ist zulässig. Das Gericht entschied, dass die Tarifpartner einen sachlichen Grund für die Differenzierung hatten.
- Die Bedeutung: Der höhere Zuschlag dient dem Ausgleich der schlechteren Planbarkeit und der stärkeren sozialen Belastungen, die mit unregelmäßiger Arbeit verbunden sind.
Der Fall vor Gericht
Warum ist Nachtarbeit nicht gleich Nachtarbeit?
Nachtarbeit ist in einer Molkerei kein Sonderfall, sie ist der Motor des Betriebs. Frische Milch wartet nicht. Um diesen 24/7-Betrieb zu organisieren, gibt es klare Regeln im Manteltarifvertrag für die Milchwirtschaft Ost (MTV). Eine dieser Regeln sorgte für einen erbitterten Streit: Wer regelmäßig nachts arbeitet, bekommt 25 Prozent Zuschlag. Wer unregelmäßig einspringen muss, erhält 50 Prozent. Ein Mitarbeiter sah darin eine klare Ungleichbehandlung und klagte auf die Differenz. Vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern ging es um mehr als nur Geld – es ging um die Frage, ob ein Tarifvertrag die Vorhersehbarkeit von Arbeit als legitimes Kriterium für die Bezahlung nutzen darf.
Welche Argumente führte der Mitarbeiter ins Feld?
Der langjährige Mitarbeiter war seit 1991 im Schichtdienst tätig. Für seine Nachtarbeit zwischen Januar und August 2019 erhielt er den vorgesehenen Zuschlag von 25 Prozent. Er forderte weitere 1.874,34 Euro – die Differenz zu den 50 Prozent. Seine Argumentation stützte sich auf einen fundamentalen Pfeiler des Grundgesetzes: den allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel 3 Absatz 1 GG. Sein Standpunkt war klar: Die Schlechterstellung der regelmäßig nachts Arbeitenden sei sachlich nicht gerechtfertigt. Der Zweck von Nachtzuschlägen sei es, die gesundheitlichen und sozialen Nachteile der Arbeit zu unüblichen Zeiten auszugleichen. Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zeigten, dass sich der menschliche Körper nie vollständig an Nachtarbeit gewöhne. Die Belastungen wie Schlafstörungen oder Herz-Kreislauf-Risiken nähmen bei regelmäßiger Nachtarbeit eher zu als ab. Ob die Nachtschicht planmäßig oder spontan anfalle, ändere nichts an dieser biologischen Realität. Eine Unterscheidung bei der Bezahlung sei willkürlich. Er verwies auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (10 AZR 34/17), das eine ähnliche Staffelung in einem anderen Tarifvertrag gekippt hatte.
Wie verteidigte der Arbeitgeber die tarifliche Regelung?
Die Molkerei beantragte, die Klage abzuweisen….