Ein Mann mit Analphabetismus und einer Somatisierungsstörung kämpfte vor Gericht um die Erhöhung seines GdB 70 und die wichtigen Merkzeichen B H RF Voraussetzungen. Obwohl seine Behinderungen ständige Begleitung erforderten, scheiterte er an der juristischen Definition der Hilflosigkeit und der strengen Prüflogik der GdB-Bildung. Zum vorliegenden Urteil Az.: L 3 SB 46/15 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern
- Datum: 25.06.2020
- Aktenzeichen: L 3 SB 46/15
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Sozialrecht, Grad der Behinderung (GdB), Merkzeichen
- Das Problem: Ein Kläger mit leichten Intelligenzdefiziten, Analphabetismus, Angst- und Schmerzstörungen forderte einen höheren Grad der Behinderung (mindestens 80) sowie die Merkzeichen B (Begleitung), RF (Rundfunkbefreiung) und H (Hilflosigkeit). Der Beklagte hatte zuvor einen Gesamt-GdB von 70 festgestellt und alle Merkzeichen abgelehnt.
- Die Rechtsfrage: Genügen die psychischen und körperlichen Einschränkungen des Klägers für einen Grad der Behinderung von 80 und müssen ihm die begehrten Merkzeichen für Hilflosigkeit, Rundfunkbefreiung oder ständige Begleitung zuerkannt werden?
- Die Antwort: Nein. Das Gericht bestätigte den Gesamt-GdB von 70. Die weiteren Leiden des Klägers (z. B. Wirbelsäulenprobleme) führten wegen Überschneidungen mit den psychischen Störungen nicht zu einer Erhöhung auf 80. Die strengen medizinischen Anforderungen für die Merkzeichen H, B und RF wurden nicht erfüllt.
- Die Bedeutung: Das Urteil bekräftigt die strengen Maßstäbe zur Bildung des Gesamt-GdB bei Mehrfachbehinderungen und stellt klar, dass Analphabetismus allein keinen Anspruch auf die Merkzeichen H oder B begründet.
Der Fall vor Gericht
Warum ist eine Behinderung von 70 nicht automatisch die Summe einzelner Leiden?
Ein Mann kann weder lesen noch schreiben. In einer Welt aus Schildern, Fahrplänen und Formularen ist das eine unsichtbare Mauer. Dazu kommen Panikattacken in Menschenmengen und eine ständige Angst. Eine Behörde erkannte seine schwere Behinderung an und stufte ihn mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 ein. Der Mann sagte: Das reicht nicht. Seine Realität sei schlimmer. Er kämpfte um einen höheren GdB und um drei Buchstaben, die sein Leben verändern könnten: B für Begleitung, H für Hilflosigkeit und RF für die Befreiung vom Rundfunkbeitrag. Vor dem Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern ging es um die Frage: Wann ist eine Beeinträchtigung so gravierend, dass der Staat nicht nur Schutz, sondern auch permanente Unterstützung gewähren muss? Der Kläger wollte einen Gesamt-GdB von mindestens 80 erreichen. Seine Argumentation schien logisch: Neben der psychischen Belastung – bewertet mit einem Einzel-GdB von 70 – litte er unter schweren orthopädischen Problemen. Seine Wirbelsäule wurde mit einem GdB von 30 eingestuft, sein Herzleiden mit 20. Rechnet man das zusammen, müsste doch mehr als 70 herauskommen. Das Gericht durchkreuzte diese simple Addition. Es folgte den strengen Regeln der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG). Diese schreiben vor, dass man Grade der Behinderung nicht einfach addieren darf. Man beginnt mit dem höchsten Einzelwert – hier die psychische Störung mit 70 – und prüft dann, ob die anderen Leiden das Gesamtbild der Beeinträchtigung spürbar verschlimmern. Hier lag der Denkfehler des Klägers. Das Gericht sah eine massive Überschneidung zwischen seinen Leiden….