Nach ihrer Kündigung forderte eine Erzieherin die Zusammenrechnung von Arbeitnehmern bei kommunalen Ämtern, um den gesetzlichen Schwellenwert von zehn Mitarbeitern zu überschreiten. Trotz der Gleichstellung wegen Behinderung und Indizien für Benachteiligung scheiterte sie am überraschend hohen Nachweis der tatsächlichen Diskriminierung. Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Sa 38/23 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
- Datum: 24.10.2023
- Aktenzeichen: 2 Sa 38/23
- Verfahren: Kündigungsschutzklage (Berufungsverfahren)
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Kündigungsschutz, Antidiskriminierungsrecht
- Das Problem: Eine gleichgestellte, schwerbehinderte Mitarbeiterin wurde gekündigt. Sie stritt seit Langem mit der Gemeinde über die Jugendarbeit. Die Mitarbeiterin sah ihre Kündigung als ungerechtfertigt und diskriminierend an.
- Die Rechtsfrage: Gilt der allgemeine Kündigungsschutz, wenn der Arbeitgeber nur 8,5 Mitarbeiter beschäftigt? Ist die Kündigung wegen der Behinderung diskriminierend und deshalb unwirksam?
- Die Antwort: Nein, die Klage hatte keinen Erfolg. Der allgemeine Kündigungsschutz war wegen zu geringer Mitarbeiterzahl nicht anwendbar. Die Mitarbeiterin konnte keine ausreichenden Beweise für eine Diskriminierung wegen ihrer Behinderung vorlegen.
- Die Bedeutung: Kleinere Arbeitgeber sind nicht an die strengen Regeln des allgemeinen Kündigungsschutzes gebunden. Eine Zusammenrechnung der Mitarbeiterzahlen mit übergeordneten Ämtern erfolgt nur bei einer einheitlichen Verwaltung.
Der Fall vor Gericht
Wieso hing alles an der Zahl Zehn?
Für eine Erzieherin in Mecklenburg-Vorpommern war die Zahl Zehn entscheidend. Hätte ihr Arbeitgeber, eine kleine Gemeinde, mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigt, wäre ihre Kündigung nur schwer durchzusetzen gewesen. Der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) greift erst ab dieser Schwelle (§ 23 KSchG). Die Gemeinde zählte aber nur 8,5 Angestellte. Die Erzieherin sah das anders. Sie zählte die 56 Mitarbeiter des übergeordneten Amtes, zu dem ihre Gemeinde gehörte, einfach dazu. Ein juristischer Kniff, der vor dem Landesarbeitsgericht auf den Prüfstand kam – und eine Grundsatzfrage aufwarf: Wann werden zwei verschiedene Behörden zu einem einzigen Arbeitgeber?
Werden die Mitarbeiter einer Gemeinde und des Amtes zusammengerechnet?
Das Gericht verneinte diesen entscheidenden Punkt. Die Mitarbeiter der Gemeinde und die des Amtes durften nicht zusammengezählt werden. Der Grund liegt in der Struktur der Kommunalverwaltung. Damit aus zwei getrennten Verwaltungen im arbeitsrechtlichen Sinne eine Einheit wird, müssen sie als „Gemeinsamer Betrieb“ geführt werden. Das erfordert einen einheitlichen Leitungsapparat, der über den Personaleinsatz in beiden Bereichen entscheidet. Es muss eine gemeinsame Steuerung der Arbeitskräfte geben, fast so, als wären alle Teil eines einzigen Unternehmens. Eine solche Verbindung existierte hier nicht. Das Gericht blickte in die Kommunalverfassung von Mecklenburg-Vorpommern (§§ 125 ff. KommVerf M-V). Die Bildung des Amtes geschah nicht freiwillig, sondern per Gesetz. Das Amt und die zugehörige Gemeinde blieben rechtlich selbstständige Arbeitgeber mit getrennten Verwaltungen. Es gab keinen Vertrag, der die Personalführung auf das Amt übertrug. Die Gemeinde führte sich selbst. Damit war der Versuch der Erzieherin, die Mitarbeiterzahlen zu addieren, gescheitert….