Obwohl die Krankenkasse ihren Kundenberater dreimal kündigte, unterzeichneten beide Parteien während des laufenden Kündigungsschutzprozesses einen unbefristeten Änderungsvertrag. Das Landesarbeitsgericht musste die ursprünglichen Kündigungsgründe anschließend nicht einmal mehr prüfen. Zum vorliegenden Urteil Az.: 5 Sa 208/19 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg‑Vorpommern
- Datum: 01.09.2020
- Aktenzeichen: 5 Sa 208/19
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Kündigungsschutz
- Das Problem: Ein Arbeitgeber kündigte seinem Mitarbeiter wegen Umorganisation und angeblich unentschuldigtem Fehlen. Der Mitarbeiter klagte gegen alle Kündigungen. Während des Gerichtsverfahrens einigten sich die Parteien auf eine unbefristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in einer neuen Funktion.
- Die Rechtsfrage: Wird eine Kündigung automatisch unwirksam, wenn die Parteien danach einvernehmlich einen vorbehaltlosen Änderungsvertrag zur unbefristeten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses schließen?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht musste die Wirksamkeit der Kündigungen nicht mehr prüfen. Die vorbehaltlose Fortsetzung schließt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus.
- Die Bedeutung: Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach einer Kündigung das Arbeitsverhältnis ohne Einschränkungen fortsetzen, wird die ursprüngliche Kündigung gegenstandslos. Der neue Vertrag beendet den Rechtsstreit über die alte Kündigung.
Der Fall vor Gericht
Wie kann ein neuer Arbeitsvertrag alte Kündigungen aushebeln?
Es gibt juristische Niederlagen, die man dem Geschick des Gegners verdankt. Und es gibt solche, die man sich selbst beibringt. Eine Krankenkasse hatte ihren Kundenberater gleich dreimal gekündigt – ordentlich, dann fristlos, dann noch einmal fristlos. Sie zog vor Gericht, um die Entlassung zu verteidigen. Doch dann tat sie etwas, das ihre eigene juristische Position pulverisierte: Sie schloss mit dem gekündigten Mitarbeiter einen neuen, vorbehaltlosen Arbeitsvertrag ab und machte damit den gesamten Prozess zu einer Farce.
Womit begannen die Streitigkeiten zwischen Mitarbeiter und Krankenkasse?
Am Anfang stand eine unternehmerische Entscheidung. Die Krankenkasse wollte ihre Struktur ändern und die klassischen Stellen für Kundenberater im Außendienst streichen. Einem langjährigen Mitarbeiter, Vater von vier Kindern, wurde aus diesem Grund betriebsbedingt gekündigt. Der Mann zog vor das Arbeitsgericht Schwerin und reichte eine Kündigungsschutzklage ein. Die Situation eskalierte. Die Krankenkasse ordnete den Mitarbeiter an einen über 200 Kilometer entfernten Arbeitsort ab. Er lehnte dies als unzumutbar ab. Prompt folgten zwei weitere Kündigungen – diesmal außerordentliche, fristlose Kündigungen. Der Vorwurf: unentschuldigtes Fehlen und eigenmächtiger Urlaub. Der Mitarbeiter wehrte sich auch dagegen. Das Arbeitsgericht gab ihm in erster Instanz Recht. Es erklärte alle drei Kündigungen für unwirksam. Die Krankenkasse legte Berufung ein. Der Kampf ging weiter.
Was war der entscheidende Wendepunkt im Verfahren?
Während die Berufung beim Landesarbeitsgericht lief, geschah etwas Unerwartetes. Die Krankenkasse und der Mitarbeiter setzten sich zusammen und unterzeichneten einen „11. Nachtrag“ zu dem ursprünglichen Arbeitsvertrag. Dieser Nachtrag regelte, dass der Mann ab sofort eine neue Tätigkeit als Vollziehungsbeamter übernehmen sollte….