Eine Heilpädagogin forderte die Anerkennung der PTBS als Arbeitsunfall, nachdem sie in einer Wohngruppe einen gewalttätigen Angriff abwenden musste. Ihr Versuch, die Situation professionell zu deeskalieren, wurde jedoch überraschend als Argument gegen die notwendige Trauma-Anerkennung gewertet. Zum vorliegenden Urteil Az.: L 5 U 29/16 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Mecklenburg‑Vorpommern
- Datum: 10.02.2021
- Aktenzeichen: L 5 U 29/16
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Gesetzliche Unfallversicherung, Arbeitsunfallrecht, Sozialrecht
- Das Problem: Eine Betreuerin erlitt psychische Schäden, nachdem sie bei einem Streit zwischen zwei Bewohnerinnen eingegriffen hatte, bei dem eine Verletzung durch eine Schere entstand. Sie klagte, weil die gesetzliche Unfallversicherung den Vorfall nicht als Arbeitsunfall anerkennen wollte.
- Die Rechtsfrage: Führt die psychische Belastung durch das Eingreifen in eine gewalttätige Auseinandersetzung zwingend zur Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung als Arbeitsunfall?
- Die Antwort: Nein, die Berufung wurde zurückgewiesen. Das Ereignis erfüllte die strengen medizinischen Kriterien für ein Trauma nicht. Die psychischen Probleme der Klägerin sind überwiegend auf vorbestehende Anfälligkeit und Konflikte am Arbeitsplatz zurückzuführen.
- Die Bedeutung: Für die Anerkennung einer psychischen Erkrankung als Arbeitsunfall muss der Vorfall selbst als Trauma im juristischen Sinne beweisbar sein. Vorbestehende psychische Probleme oder andere Belastungen können verhindern, dass der Vorfall als Wesentliche Ursache gilt.
Der Fall vor Gericht
Warum wurde professionelles Handeln zum juristischen Verhängnis?
Eine Sozialarbeiterin wird ohne spezielle Einarbeitung in eine neue, hoch anspruchsvolle Wohngruppe für junge Frauen mit Borderline-Störung geworfen. Wenige Tage später explodiert die Situation: Zwei Bewohnerinnen geraten aneinander, eine hält eine Schere in der Hand, es kommt zu einer stark blutenden Wunde am Unterarm. Die Betreuerin reagiert professionell. Sie drängt sich zwischen die Streitenden, versorgt die Wunde, ruft den Notarzt. Ihr Handeln war vorbildlich. Genau dieses professionelle Handeln wurde ihr Jahre später vor dem Landessozialgericht zum Verhängnis.
Was macht einen psychischen Schock zum Arbeitsunfall?
Die Heilpädagogin war nach dem Vorfall nicht mehr dieselbe. Sie entwickelte massive Ängste, Schlafstörungen und Flashbacks. Ihre Ärzte diagnostizierten eine Posttraumatische Belastungsstörung – kurz PTBS. Sie meldete den Vorfall bei der zuständigen Unfallkasse. Sie wollte ihn als Arbeitsunfall anerkennen lassen. Ein Arbeitsunfall, wie ihn das Gesetz in § 8 des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) definiert, ist ein zeitlich begrenztes Ereignis, das von außen auf den Körper einwirkt und zu einem Gesundheitsschaden führt. Die Kasse lehnte ab. Der Streit landete vor Gericht. Die entscheidende Frage war nicht, ob der Vorfall stattgefunden hatte. Das war unstrittig. Die Frage war, ob dieser Vorfall die rechtlich wesentliche Ursache für die psychische Erkrankung der Frau war. Die Gerichte müssen hier nach der „Theorie der wesentlichen Bedingung“ prüfen. Im Klartext: Das Ereignis bei der Arbeit muss für die Entstehung der Krankheit nicht nur irgendein Anlass gewesen sein, sondern der ausschlaggebende Faktor. Andere mögliche Ursachen dürfen keine gleichwertige oder sogar größere Rolle gespielt haben….