Der Kampf um das Sorgerecht eines Kindes eskalierte bis vor den Bundesgerichtshof – und führte zu einer wegweisenden Entscheidung, die das Familienrecht neu definiert. Deutschlands höchstes Gericht zieht eine scharfe Trennlinie zwischen Umgangs- und Sorgerecht und rügt Richter für ihren blinden Glauben an Gutachten. Dieses Urteil könnte für unzählige getrennte Eltern alles verändern.
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- BGH trennt Sorgerecht und Umgangsrecht strikt: Eine umfangreiche Umgangsregelung steht einer späteren Sorgerechtsentscheidung nicht entgegen.
- Sorgerecht und Umgangsrecht sind getrennte Verfahrensgegenstände: Sorgerecht betrifft grundlegende Entscheidungen (rechtsgestaltend), Umgangsrecht die praktische Organisation des Alltags (regelnd, vollstreckbar).
- Gerichte müssen psychologische Gutachten kritisch prüfen: Widersprüche müssen aufgeklärt werden; selektive Verwertung oder Ignorieren von Gutachtenteilen ist unzulässig.
- Diagnosen bedeuten nicht automatisch Erziehungsunfähigkeit: Eine psychologische Diagnose allein begründet keine mangelnde Erziehungseignung ohne konkreten Nachweis der negativen Auswirkungen auf das Kindeswohl.
- Kindesanhörung und veränderte Verhältnisse sind zentral: Das Kind muss persönlich angehört werden (insb. ab 6 Jahren), und wichtige Entwicklungsschritte (z.B. Einschulung) können eine Sorgerechtsneuregelung rechtfertigen.
- Praktischer Hinweis: Anträge vor Gericht präzise formulieren und Sorge- von Umgangsfragen klar trennen; der Fokus muss immer auf dem Kindeswohl liegen.
Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. März 2025, Az.: XII ZB 88/24
BGH-Grundsatzurteil: Sorgerecht und Umgang sind zwei Paar Stiefel
Für die geschiedenen Eltern eines im September 2017 geborenen Kindes schien im August 2021 eine Art Waffenstillstand erreicht. Nach einer Reihe von zermürbenden Gerichtsverfahren einigten sie sich: Die gemeinsame elterliche Sorge sollte zwar bestehen bleiben, doch der Vater erhielt das entscheidende Recht, über den Wohnort des Kindes und den Kindergarten zu bestimmen – das sogenannte Aufenthaltsbestimmungsrecht. Gleichzeitig wurde der Mutter ein außergewöhnlich großzügiges Umgangsrecht zugestanden, das gerichtlich gebilligt wurde: Von Donnerstagnachmittag bis Montagvormittag war das Kind bei ihr. Faktisch lebte das Kind damit in einer Art Wechselmodell, auch wenn der offizielle Lebensmittelpunkt beim Vater lag. Doch dieser Frieden war trügerisch. Als die Einschulung des Kindes näher rückt, sah das Jugendamt Handlungsbedarf und regte ein neues Verfahren an. Die Situation eskalierte erneut. Das Amtsgericht Dillenburg sprach der Mutter daraufhin wichtige Sorgerechtsbereiche zu, darunter die Entscheidung über schulische Angelegenheiten und das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Ein Sieg für die Mutter, der den Lebensmittelpunkt des Kindes wieder zu ihr verlagert hätte. Doch der Vater legte Beschwerde ein, und das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main drehte die Entscheidung komplett um: Es entzog der Mutter das Sorgerecht und übertrug es vollständig auf den Vater allein. Ein Paukenschlag, begründet mit dem massiven Konflikt der Eltern und einer angeblich geringeren Erziehungseignung der Mutter. Für sie stand alles auf dem Spiel. Sie zog vor die höchste Instanz, den Bundesgerichtshof (BGH), und stellte die entscheidenden Fragen, die viele getrennte Eltern bewegen: Kann eine einmal getroffene Umgangsregelung eine spätere Sorgerechtsentscheidung blockieren?…