Die Zwangsbehandlung Betreuter stellt Ärzte und Gerichte immer wieder vor heikle Fragen. So auch im Fall einer 65-jährigen Frau mit wahnhafter Störung, die mit einem nicht zugelassenen Medikament gegen ihren Willen behandelt werden sollte. Die Gerichte, bis hin zum Bundesgerichtshof, verweigerten die Genehmigung – nicht zuletzt, weil zugelassene Alternativen bestanden. Doch wann ist eine solche ärztliche Zwangsbehandlung mit einem Off-Label-Medikament überhaupt erlaubt, wenn es zugelassene Alternativen gibt?
Das Wichtigste in Kürze
- Eine 65-jährige Betroffene mit wahnhafter Störung sollte mittels zwangsweiser intramuskulärer Verabreichung von Haloperidol (Off-Label-Use) behandelt werden, falls orale Medikamente verweigert würden.
- Das Landgericht Berlin II versagte die Genehmigung für diese Behandlung, da es die persönliche Einwilligung des Patienten für die „gemeinsame Entscheidungsfindung“ beim Off-Label-Use für zwingend hielt.
- Der Bundesgerichtshof wies die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde des Verfahrenspflegers zurück.
- Der BGH stellte klar, dass die „gemeinsame Entscheidungsfindung“ über einen Off-Label-Use bei einwilligungsunfähigen Betroffenen grundsätzlich auch zwischen Arzt und Betreuer erfolgen kann.
- Die Genehmigung wurde endgültig versagt, weil der Bundesgerichtshof das Vorhandensein zugelassener und erfolgversprechender Behandlungsalternativen feststellte.
- Das Vorhandensein dieser Alternativen verhinderte die Genehmigung der zulassungsüberschreitenden Zwangsbehandlung, da diese dem Ultima-Ratio-Prinzip nicht entsprach.
Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.05.2025, Az.: XII ZB 361/24
BGH-Urteil zur Zwangsbehandlung: Der schmale Grat zwischen Heilung und Zwang beim Off-Label-Use
Stellen Sie sich eine 65-jährige Frau vor, die nach einem schweren Schicksalsschlag an einer wahnhaften Störung leidet und nicht mehr in der Lage ist, über ihre eigene medizinische Behandlung zu entscheiden. Ihr Arzt hält eine bestimmte Medikation für zwingend notwendig, um eine Verschlechterung ihres Zustands abzuwenden, doch die Patientin wehrt sich dagegen. Die geplante Behandlung hat jedoch einen Haken: Das Medikament soll in einer Form verabreicht werden, für die es keine offizielle Zulassung gibt. Dieser Fall landete vor dem Bundesgerichtshof und zwang die obersten Richter, eine der heikelsten Fragen im Medizinrecht zu beantworten: Unter welchen außerordentlich strengen Bedingungen darf der Staat eine ärztliche Zwangsmaßnahme gegen den Willen eines Menschen genehmigen, wenn diese Behandlung auf einem zulassungsüberschreitenden Einsatz, einem sogenannten Off-Label-Use, beruht?
Was war der Auslöser des Rechtsstreits?
Im Zentrum des Falles steht eine 65-jährige Frau, die nach einem Herzstillstand und einer Hirnblutung an einer schweren wahnhaften Störung leidet. Aufgrund ihrer Erkrankung ist sie einwilligungsunfähig, was bedeutet, dass sie die Tragweite medizinischer Entscheidungen nicht mehr selbst erfassen und darüber befinden kann. Eine gerichtlich bestellte Betreuerin wurde eingesetzt, um ihre rechtlichen Angelegenheiten im Bereich der Gesundheitssorge zu regeln und die notwendigen Entscheidungen für sie zu treffen. Die behandelnden Ärzte sahen eine medikamentöse Behandlung als unumgänglich an, um einen drohenden, erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden….