Irreführende Kosmetikwerbung beschäftigt die Gerichte: Ein Wirtschaftsverband klagte gegen eine Reformhausbetreiberin, weil diese eine Gesichtscreme mit angeblicher Zellerneuerung durch Ginseng bewarb. Der Vorwurf: Die Versprechungen seien wissenschaftlich nicht haltbar und damit unzulässig. Doch was geschieht, wenn ein Händler lediglich Angaben des Herstellers übernimmt? Muss ein Händler vor der Werbung eigene wissenschaftliche Belege für Herstellerangaben einholen?
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Wirtschaftsverband klagte gegen eine Reformhausbetreiberin wegen der Werbung für eine Gesichtscreme mit der Aussage „Ginseng fördert die Zellerneuerung und schützt vor freien Radikalen“.
- Der Kläger beanstandete die Werbeaussage als irreführend und wissenschaftlich nicht belegt, was einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 1 der EU-Kosmetik-Verordnung darstelle.
- Das Landgericht hatte die Beklagte zunächst verurteilt, während das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen hatte.
- Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass die Werbeaussage zur Zellerneuerung durch Ginseng wissenschaftlich nicht hinreichend belegt ist und somit gegen Art. 20 Abs. 1 der EU-Kosmetik-Verordnung verstößt.
- Das Verfahren wurde ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union wurden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, um die Prüfungspflichten eines Händlers für vom Hersteller übernommene Werbeaussagen und die Anwendbarkeit von EU-Richtlinien zu unlauteren Geschäftspraktiken zu klären.
Die Ginseng-Lüge: Wenn Händler für die Werbeversprechen der Hersteller haften – Eine BGH-Analyse
Ein Werbeprospekt, eine Gesichtscreme und ein verlockendes Versprechen: „Ginseng fördert die Zellerneuerung“. Diese wenigen Worte, gedruckt in einem Angebotsflyer einer deutschen Reformhauskette, lösten einen Rechtsstreit aus, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) und von dort weiter zum höchsten Gericht Europas führte. Der Fall entblößt eine fundamentale Frage des modernen Handels: Wer trägt die Verantwortung für die Wahrheit in der Werbung, wenn ein Händler die vollmundigen Aussagen eines Herstellers übernimmt, um den eigenen Verkauf anzukurbeln? Muss der Händler zum wissenschaftlichen Detektiv werden und die Versprechen des Herstellers aufwendig überprüfen, oder darf er sich blind auf dessen Expertise verlassen?
Was war der Auslöser des Rechtsstreits?
Die Geschichte beginnt im November 2020 mit einem Prospekt des Unternehmens „Reformhaus D.“. Darin wurde die Gesichtscreme „A. L. R. Tag & Nachtpflege“ beworben. Im Zentrum der Werbung stand eine prägnante Aussage, die auf der Produktverpackung und in den vom Hersteller zur Verfügung gestellten Werbematerialien zu finden war: „Ginseng fördert die Zellerneuerung und schützt vor freien Radikalen“. Eine solche Behauptung ist für Konsumenten, die nach effektiver Hautpflege suchen, ein starkes Kaufargument. Doch genau dieses Versprechen rief den Verband Sozialer Wettbewerb e. V. auf den Plan. Als qualifizierter Wirtschaftsverband, dessen Aufgabe es ist, über fairen Wettbewerb zu wachen, hegte der Verband einen entscheidenden Zweifel: Ist die beworbene Wirkung von Ginseng bei äußerlicher Anwendung auf der Haut überhaupt wissenschaftlich belegt? Der Verband sah in der Werbeaussage eine Irreführung der Verbraucher und eine unlautere Geschäftspraxis. Nachdem eine außergerichtliche Abmahnung vom 17. November 2020 erfolglos blieb, zog der Verband vor Gericht….