Eine plötzliche Versetzung in die unbeliebte Nachtschicht nach über 30 Jahren im Tagdienst – diesen Albtraum erlebte eine erfahrene Chemielaborantin, als ihr Arbeitgeber sie in ein komplett neues Schichtsystem zwingen wollte. Die gesundheitlich angeschlagene Mitarbeiterin sah sich damit körperlich wie psychisch überfordert und zog gegen ihr Unternehmen vor Gericht. Wie weit reicht das Direktionsrecht eines Arbeitgebers, wenn die Gesundheit und jahrzehntelange Gewohnheiten seiner Angestellten auf dem Spiel stehen? Zum vorliegenden Urteil Az.: 7 Sa 53/23 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
- Datum: 21.02.2024
- Aktenzeichen: 7 Sa 53/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Betriebsverfassungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Eine langjährig als Chemielaborantin in Tagesschicht beschäftigte Arbeitnehmerin mit Kniearthrose und einem Grad der Behinderung von 20, die sich gegen ihre Versetzung in den Wechselschichtdienst wehrte.
- Beklagte: Der Arbeitgeber der Klägerin, der die umstrittene Versetzung angeordnet hatte und deren Wirksamkeit verteidigte.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Eine langjährig in Tagesschicht tätige Chemielaborantin wurde von ihrem Arbeitgeber in eine andere Abteilung mit vollkontinuierlichem Wechselschichtdienst versetzt und klagte auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Versetzung und Weiterbeschäftigung an ihrem alten Arbeitsplatz.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: War die vom Arbeitgeber angeordnete Versetzung einer langjährig in Tagesschicht tätigen Chemielaborantin mit gesundheitlichen Einschränkungen in vollkontinuierlichen Wechselschichtdienst unter Berücksichtigung billigen Ermessens wirksam?
Wie hat das Gericht entschieden?
- Berufung der Klägerin vollumfänglich erfolgreich: Die Versetzung wurde als unwirksam festgestellt und der Arbeitgeber zur Beschäftigung der Klägerin an ihrem ursprünglichen Arbeitsplatz verurteilt.
- Kernaussagen der Begründung:
- Fehlerhafte Ermessensausübung des Arbeitgebers: Die Beklagte hatte bei der Versetzungsentscheidung die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die Behinderung der Klägerin nicht berücksichtigt, was gegen das billige Ermessen verstieß.
- Beweislast beim Arbeitgeber: Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass seine Weisungsentscheidung billigem Ermessen entspricht; eine subjektive Unkenntnis der Gesundheitsprobleme entlastet ihn nicht.
- Unwirksamkeit der gesamten Versetzung: Eine unbillige Versetzung, die mehrere Arbeitsbedingungen ändert, ist als einheitliche Maßnahme insgesamt unwirksam und nicht nur in Teilen.
- Folgen für die Klägerin:
- Die Versetzung der Klägerin zum 1. Mai 2022 wurde als unwirksam festgestellt.
- Die Beklagte muss die Klägerin in ihrer ursprünglichen Abteilung „Rohstoff/Betriebslabor“ in Gleitzeit (Tagesschicht) als Chemielaborantin beschäftigen.
Der Fall vor Gericht
Kann mein Chef mich nach 30 Jahren einfach in die Nachtschicht versetzen?
Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten seit über 30 Jahren im selben Unternehmen. Sie haben Ihren festen Arbeitsplatz, Ihre gewohnten Aufgaben und vor allem eine geregelte Arbeitszeit – eine normale Tagesschicht….