Die Beziehung zwischen einem Mitarbeiter und einer in seiner Gruppe betreuten Frau mit Behinderung führte zur Kündigung. Was der Arbeitgeber als schweren Vertrauensbruch einstufte, landete vor Gericht. Nun hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen entschieden und das Arbeitsverhältnis des Mannes überraschend für gültig erklärt. Dieses Urteil wirft Fragen über Fürsorgepflichten und die persönliche Freiheit im sozialen Arbeitsumfeld auf. Zum vorliegenden Urteil Az.: 10 Sa 441/23 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
- Datum: 09.04.2024
- Aktenzeichen: 10 Sa 441/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein langjähriger Fachkraft für Berufsförderung und Gruppenleiter in Behindertenwerkstätten, der gegen seine fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung klagte, weil er eine Liebesbeziehung mit einer Schutzbedürftigen aus seiner Gruppe eingegangen war. Er sah darin keine Pflichtverletzung und bestritt die Vorwürfe der Unehrlichkeit und Zeugenbeeinflussung.
- Beklagte: Betreiberin von Behindertenwerkstätten, die dem Kläger fristlos, hilfsweise ordentlich kündigte. Sie begründete dies mit dem angeblichen Missbrauch des Betreuungsverhältnisses, der Verletzung professioneller Standards, und dem Vorwurf der Unehrlichkeit und Zeugenbeeinflussung durch den Kläger. Sie stellte zudem einen Antrag auf gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Ein Mitarbeiter einer Behindertenwerkstatt ging eine Liebesbeziehung mit einer geistig behinderten Person ein, die in seiner Gruppe betreut wurde. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich.
- Kern des Rechtsstreits: Ob die Kündigung wirksam war, insbesondere ob der dringende Verdacht eines sexuellen Missbrauchs vorlag oder andere Pflichtverletzungen des Mitarbeiters eine Kündigung oder Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigten.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Landesarbeitsgericht stellte fest, dass die vom Arbeitgeber ausgesprochene ordentliche Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht beendet wurde. Der Kläger hat Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Die Berufung des Arbeitgebers sowie dessen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses wurden zurückgewiesen.
- Begründung: Das Gericht befand, dass kein dringender Verdacht eines sexuellen Missbrauchs vorlag, der eine Kündigung gerechtfertigt hätte. Eine private Beziehung allein ist kein ausreichender Kündigungsgrund. Auch die weiteren Vorwürfe des Arbeitgebers, die eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses begründen sollten, konnten nicht bewiesen werden oder waren nicht schwerwiegend genug.
- Folgen: Der Kläger bleibt im Arbeitsverhältnis und muss vom Arbeitgeber weiterbeschäftigt werden. Der Arbeitgeber muss die Kosten des Rechtsstreits tragen. Eine Revision gegen dieses Urteil wurde nicht zugelassen.
Der Fall vor Gericht
Ein alltäglicher Konflikt am Arbeitsplatz: Wenn die Liebe Grenzen überschreitet?
Viele Menschen lernen ihre Partnerinnen oder Partner am Arbeitsplatz kennen. Doch was passiert, wenn eine solche Beziehung in einem besonders sensiblen Arbeitsumfeld entsteht, beispielsweise in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen?…