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Eine schwangere Orthoptistin aus Sachsen klagte erst nach Ablauf der Dreiwochenfrist gegen ihre Kündigung – und bekam Recht! Das Landesarbeitsgericht entschied, dass die Frist erst mit der ärztlichen Bestätigung der Schwangerschaft beginnt, die den Kündigungszeitpunkt einschließt. Damit stärkt das Gericht den Kündigungsschutz schwangerer Arbeitnehmerinnen und beruft sich dabei auf europäisches Recht. Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Sa 88/23 | | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
- Datum: 22.04.2024
- Aktenzeichen: 2 Sa 88/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren hinsichtlich der nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Kündigungsschutz, Mutterschutz
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Eine Arbeitnehmerin, die als Orthoptistin/Behandlungsassistentin tätig ist. Sie argumentiert, dass die Kündigung wegen ihrer Schwangerschaft unwirksam sei und beruft sich darauf, dass sie erst spät von ihrer Schwangerschaft erfahren habe, weshalb die Kündigungsschutzklage nachträglich zugelassen werden solle.
- Beklagte: Arbeitgeberin der Klägerin. Sie vertritt die Ansicht, dass die Kündigungsschutzklage wegen Fristversäumnis unzulässig sei und begründet dies mit der Kenntniserlangung der Klägerin über ihre Schwangerschaft innerhalb der Frist.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin war seit Dezember 2012 bei der Beklagten beschäftigt. Am 13.05.2022 wurde ihr Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.06.2022 gekündigt. Am 29.05.2022 führte sie einen Schwangerschaftstest durch, der positiv war. Der Antrag auf eine nachträgliche Zulassung ihrer Kündigungsschutzklage wegen Schwangerschaft erreichte das Arbeitsgericht am 13.06.2022, der dazugehörige Arzttermin war erst für den 17.06.2022 vereinbart. Die Klägerin argumentiert, dass sie vor der ärztlichen Bestätigung unsicher über die Schwangerschaft war. Die Beklagte sieht das Wissen über die Schwangerschaft durch den Test als ausreichend zur Fristwahrung an.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage ist, ob für die rechtzeitige Klageerhebung die Kenntnis der Schwangerschaft durch einen Schwangerschaftstest genügt, oder ob eine ärztliche Bestätigung erforderlich ist, um die Klagefrist gemäß § 5 KSchG auszulösen.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen, das Arbeitsgericht hat die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage der Klägerin zu Recht gestattet. Die Kündigung wird als unwirksam erachtet.
- Begründung: Das Gericht stellte fest, dass die arbeitsrechtliche Kenntnis der Schwangerschaft erst mit der ärztlichen Bestätigung zu berücksichtigen ist, was im Einklang mit dem Zweck der zugrundeliegenden Vorschriften und der europäischen Richtlinie 92/85 steht. Eine angemessene Überlegungsfrist muss eingeräumt werden. Die Frist zur nachträglichen Zulassung begann daher erst mit der ärztlichen Bestätigung, nicht mit dem Schwangerschaftstest.
- Folgen: Die Klägerin bleibt weiterhin im Arbeitsverhältnis bis zum 31.08.2022 unter den bisherigen Bedingungen beschäftigt. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Eine Revision wurde zugelassen, um die grundsätzliche Bedeutung der rechtlichen Fragestellung klären zu lassen….