Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – Az.: 17 Sa 57/21 – Urteil vom 10.02.2022
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 19. Mai 2021 – Az: 15 Ca 3932/20 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Mai 2020 nicht aufgelöst wurde.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin über den 31. Dezember 2020 hinaus arbeitsvertragsgemäß als Sachbearbeiterin in S. bis zur Rechtskraft einer Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag weiter zu beschäftigen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz hat die Beklagte zu tragen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz hat die Beklagte zu 81 % und die Klägerin zu 19 % zu tragen.
III. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung und einen Weiterbeschäftigungsanspruch.
Die am xx.xx.xxxx geborene, . . . , einem schwerbehinderte Menschen gleichgestellte Klägerin war ab dem 1. Januar 1999 bei der Beklagten in S. als Versicherungssachbearbeiterin in Teilzeit mit 20 Wochenstunden zu einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von zuletzt 2.105,75 Euro beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in S. weit mehr als zehn Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung sind im Betrieb gebildet.
Bei der Tätigkeit als Versicherungssachbearbeiterin handelt es sich um eine überwiegend im Sitzen ausgeführte Tätigkeit. Die Arbeit findet am Telefon und am PC statt. Der Klägerin wurden Geschäftsvorfälle zur Bearbeitung zugewiesen. Für die Bearbeitung gab es je nach Geschäftsvorfall einzuhaltende Vorgaben. Zur Stelle gehört auch die Kommunikation mit in- und externen Stellen, die per Telefon oder schriftlich stattfinden kann. Der Arbeitsplatz der Klägerin befand sich in einem sog. Gruppenarbeitsraum. Hierbei handelt es sich um ein Büro, in dem mehrere Schreibtische mit Computern und Telefonen stehen und in dem mehrere Personen arbeiten. Die gesetzlichen Vorgaben zum Arbeitsschutz wie z.B. Beleuchtung, Lüftung, Heizung wurden stets eingehalten. Die Arbeit findet nicht im Schichtdienst statt und üblicherweise auch nicht in der Nacht oder am Wochenende. Im Rahmen einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitflexibilisierung (BV Flexible Arbeitszeit) können die Mitarbeiter weitgehend selbst über Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeit sowie über die Lage der Pause[…]