BFH – Az.: IX R 8/20 – Urteil vom 23.04.2021
Leitsätze
1. § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S. von § 42 Abs. 1 Satz 2 AO; damit ist die Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO für den Fall der Veräußerung nach unentgeltlicher Übertragung grundsätzlich ausgeschlossen.
2. Hat der Steuerpflichtige die Veräußerung eines Grundstücks angebahnt, liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht vor, wenn er das Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder überträgt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern; der Veräußerungsgewinn ist dann bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen zu erfassen
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 21.03.2019 – 6 K 551/17 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 24.08.2015 aufgehoben.
Die Einkommensteuer 2012 wird unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 2012 des Beklagten vom 16.03.2015 auf den Betrag festgesetzt, der sich ohne Ansatz sonstiger Einkünfte der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 97.591 € ergibt.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen. Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die Besteuerung eines Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und –damit zusammenhängend– um das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb mit notariell beurkundetem Vertrag im Jahr 2011 das Grundstück A-Straße in B. Der Kaufpreis betrug … €. Unter dem …2012 übertrug die Klägerin das Eigentum an ihrem Grundstück unentgeltlich jeweils zu hälftigem Miteigentum auf ihren volljährigen Sohn und ihre volljährige Tochter (Beigeladene zu 1. und 2.). Mit notariell beurkundetem Vertrag vom selben Tag verkauften die Beigeladenen das Grundstück an Z. Der Kaufpreis betrug … €. Er wurde nach § 3 des Vertrags je zur Hälfte an die Beigeladenen ausgezahlt. Die Verkaufsverhandlungen mit Z waren allein von der Klägerin geführt worden.
In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr (2012) erklärte die Klägerin keinen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) überprüfte im Rahmen einer betriebsnahen Veranlagung[…]