BGH
Az 1 StR 44/06
Urteil vom 24.10.2006
Leitsätze:
1. Eine von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erteilte Entsendebescheinigung (E 101) bindet auch die deutschen Organe der Strafrechtspflege.
2. Die Durchführung eines Strafverfahrens wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a Abs. 1 StGB) ist ebenso gehindert wie eine Strafverfolgung in Zusammenhang mit Erklärungen gegenüber den Behörden des Entsendestaates zur Erlangung der E 101-Bescheinigung jedenfalls solange die erteilte Bescheinigung nicht zurückgenommen ist.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Oktober 2006, als für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 14. Juli 2005 aufgehoben. Die Angeklagten werden freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung der Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht München I hat den Angeklagten F. durch Urteil vom 14. Juli 2005 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 11 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten H. hat es wegen Beihilfe zu diesen Taten unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; daneben hat es eine Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen zu jeweils 10,– EUR verhängt. Die Vollstreckung beider Gesamtfreiheitsstrafen hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt.
Die Angeklagten machen mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen geltend, dass den Angeklagten F. wegen Unanwendbarkeit deutschen Sozialversicherungsrechtes keine Pflicht zur Abführung von Beiträgen zur deutschen Sozialversicherung treffe, eine Strafbarkeit nach § 266a StGB daher für beide Angeklagte ausscheide. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte F. war Geschäftsführer der „A. GmbH“ mit Sitz in M. (fortan: A. GmbH), die auf Baustellen in Deutschland als Subunternehmerin Aufträge im Bereich der Fassadenmontage ausführte und dabei portugiesische Arbeiter einsetzte. Um die Arbeiter der deutschen Sozialversic[…]